Der Schwarze Papst
ein, wenige Tage später die seines jüngeren Bruders Gisbert. Beide kamen vor ungefähr zwei Wochen an, der dritte Schüler einen Tag später.«
»An jenem Tag seid Ihr Johannes zum ersten Mal begegnet?«, fragte Sandro.
»Ja. Ich war zufällig hier und begrüßte sie. Johannes war höflich, demütig, hatte eine deutliche Aussprache und war ganz offensichtlich theologisch belesen. Er stammte aus guter Familie, hatte sich aus freien Stücken angemeldet und wäre ein Vorzeigeschüler geworden. Natürlich fehlte es ihm noch an Disziplin, dennoch hätte uns etwas Besseres als er für den Anfang gar nicht passieren können.«
»Dann ist sein Tod ein umso schlimmerer Verlust, nehme ich an.«
»Jeder Tod eines Menschen ist ein Verlust, Bruder Carissimi. Ich werde nicht anfangen, die Toten gegeneinander aufzurechnen, und du solltest das auch nicht tun.«
»Ich knüpfe lediglich an die Worte von Magister Duré an. Er sagte, dass die Ermordung eines Schülers am Eröffnungstag einen prächtigen Vorwand für allerlei Anfeindungen bietet. Und ich füge mit eigenen Worten hinzu: Demnach könnten die Anfeindungen nicht nur Folge, sondern auch Mordmotiv sein.«
»Du meinst, jemand will dem Orden schaden?«
»Möglicherweise. Dem Orden oder dem Collegium Germanicum.«
»Das ist dasselbe.«
Es war nicht dasselbe, und Sandro war versucht, den Pater
General zu korrigieren. Im letzten Moment hielt er sich zurück, denn Ignatius, nicht der Papst, war eine der am meisten respektierten Instanzen der Heiligen Römischen Kirche. Er wandte sich den einfachen Menschen zu, denen, die keine Fürsprecher hatten, und er schenkte ihnen Hoffnung, indem er ihre Kinder kostenlos unterrichten ließ, ihre Alten kostenlos speiste, ihre Kranken ohne Gegenleistung pflegte. Ignatius hätte nachts und allein jedes schmutzige Viertel der Ewigen Stadt passieren können, ohne irgendetwas fürchten zu müssen. Würde Julius dasselbe versuchen, käme er nicht weit. Zumindest würde man ihm dreimal ein Bein stellen.
Sandro diente beiden, dem Weisen und dem Vergnügungskönig, der helfenden und der goldenen Hand. Als Jesuit war er Diener der Menschen, als Privatsekretär und Visitator des Papstes ein Diener der Macht, und das Drahtseil, auf dem er lief, schwankte zuweilen. Manchmal drohten ihm seine Position und seine Erfolge zu Kopf zu steigen, wie ein großer Schluck Branntwein, der auf nüchternen Magen getrunken wurde, und es brauchte einiges an Konzentration und Willenskraft, um dem Rausch entgegenzuwirken. Aber es war ihm bisher immer gelungen, und das würde es auch weiterhin.
»Habt Ihr zu irgendeinem Zeitpunkt ein längeres Gespräch mit Johannes von Donaustauf geführt, ehrwürdiger Pater General?«
»Nein, ich hatte leider keine Zeit dafür - und ein solches Gespräch war auch nicht vorgesehen gewesen. Ich werde mit der Führung der Schule nichts zu tun haben. In wenigen Tagen reise ich ab und kümmere mich um andere Dinge. Darum sollten die Lehrer Vorgespräche mit den Schülern führen, was sie, soweit ich weiß, auch getan haben.«
»Dennoch habt Ihr, ohne Johannes näher zu kennen, gestattet, dass er die erste Lesung hält.«
»Bruder Birnbaum hätte sie halten sollen, bekam jedoch
Halsschmerzen. Er schlug Johannes als Ersatz vor, und ich hatte keine Einwände.«
»Damit wäre das geklärt. Womit sind die Schüler in den letzten beiden Wochen beschäftigt worden?«
»Nun, sie sind erst seit heute Schüler. Abgesehen von den Vorgesprächen, die ich erwähnte, einer Kleiderprobe für die Talare, den gemeinsamen Mahlzeiten und einigen Reinigungsarbeiten, hatten sie frei. Jeder konnte sich die Zeit nach eigenem Ermessen einteilen.«
Sandro zog die Augenbrauen hoch, was er sogleich als Verstoß gegen die Regeln wahrnahm. Ignatius, der es zweifellos gesehen hatte, ging nicht darauf ein. Er hatte seine Mimik perfekt unter Kontrolle.
»Das war äußerst großzügig, Pater General, bedenkt man, dass alle drei aus der Provinz kamen und nun eine der - wie soll ich sagen - aufregendsten Städte der Welt betraten.«
»Du vergisst, Bruder, dass die Konfrontation mit allen Verlockungen wichtiger Bestandteil der jesuitischen Lehre ist. Wir haben vorhin darüber gesprochen. Dem Übel darf man nicht ausweichen, man muss sich ihm stellen.«
»Ich habe es nicht vergessen, Pater General. Wie alle Jesuiten, so bin auch ich durch die Exerzitien, die Seelenübungen, gegangen. Vorhin jedoch habt Ihr meine Nähe zu den Verlockungen des Vatikans
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