Der Schwarze Papst
schon fertig sind.
Und das waren sie. Als wir um sechs Uhr gemeinsam zur Messe gingen, standen die Teller längst fertig hier in der Küche - unbeaufsichtigt!«
»Giovanna war doch da«, wandte Sandro ein.
»Die hatte viel zu tun … und die Küche ist groß. Vielleicht war sie auch mal auf der Latrine. Dieser Mysterio hätte irgendwie an ihr vorbeischleichen können.«
Sandro war nicht überzeugt. Es hätte einen Mysterio von katzenhafter Präzision gebraucht, der dann auch noch das Glück auf seiner Seite hätte haben müssen, um von draußen einzudringen und in einer Küche, in der Giovanna arbeitete, unbemerkt Gift auf einen Teller zu träufeln. Unmöglich war es nicht, aber …
Man brauchte keinen Mysterio, keinen Eindringling, um etwas anderes an der These interessant zu finden: Die Tatsache, dass, sollte das Gift im Essen gewesen sein, die kalten Portionen die einzige Möglichkeit waren, nur einen Mitbruder zu töten, weil Wasser und Wein aus Krügen eingeschenkt und warme Speisen aus Töpfen geschöpft worden waren.
Rosina saß in jenem Hof, in dem sie gestern Abend getanzt hatte. Es fanden sich noch Spuren davon, und eine von diesen Spuren im Hof waren die umgeknickten Löwenzahnblüten, die dem Tanz zum Opfer gefallen waren und sich nun aufzurichten mühten, weiterhin die getrockneten Rinnsale des Urins, da die Männer gegen die Wände der Nachbarhäuser gepinkelt hatten, und eine verkohlte Fackel. Der Hof am Tage war eine andere Welt, war die wahre Welt, in der die Illusionen der Nacht strandeten.
Rosina saß im Schatten auf dem Boden vor der Eingangstür. Sie war nicht allein. Die Großmutter war bei ihr, aber eigentlich konnte man das nicht so sagen, denn sie war an einem anderen Ort, irgendwo, wo genau, verrieten die Augen nicht,
in denen bisweilen eine erschreckende Sehnsucht lag. Immerzu saß sie stumm auf einem Stuhl im Hof, so wie vor einem Jahrzehnt, vor zwei Jahrzehnten, vor drei Jahrzehnten, vor vier Jahrzehnten. Drinnen im Haus werkelte Rosinas Mutter, die halb blind war, von früh bis spät.
Rosina hatte nichts zu tun, außer auf die Großmutter aufzupassen und der Mutter hier und da zu helfen. Gelegentlich rief die Mutter nach ihr, dann schlenderte Rosina lustlos hi nein, hörte sich Vorwürfe der Mutter an, tat ein paar Handgriffe und schlenderte wieder hinaus. Im Hof gab es zwar nichts Besonderes zu sehen, aber es war immerhin besser, als den ganzen Tag in der Düsternis des engen Hauses zu verbringen. Einige Hühner suchten im Hof nach Körnern, ein alter Gaul verscheuchte mit seinem Schwanz die Fliegen, ein gefangener Grünling suchte nach einem Weg aus dem Käfig, eine einsame Gans, angebunden an einen Pfahl, tauschte mit Rosina einen Blick.
Die Traurigkeit der Arche Noah, dachte Rosina oft. Sie saß hier fest, umgeben von Tieren und alten Frauen, denen es wie ihr ging, die sich damit jedoch mehr oder weniger freiwillig abgefunden hatten. Manchmal erschrak sie beim Anblick der Großmutter, wegen der Ähnlichkeit zwischen ihren und Rosinas Augen. Die Sehnsucht nahm auch in Rosinas Leben einen großen Raum ein. Noch unterschied sich ihre Sehnsucht von der der Großmutter, aber nur dadurch, dass die Sehnsucht der Großmutter in die Vergangenheit und die von Rosina in die Zukunft gerichtet war. Sie fragte sich, wann in ihrem Leben es so weit sein würde, dass die Sehnsucht gleichsam die Farbe änderte. Geschah so etwas nach und nach, jeden Tag ein wenig, so wie alles Irdische jeden Tag ein wenig starb? Oder gab es einen Moment grauenvoller Erkenntnis, einen inneren Schrei, ein letztes Aufbäumen, bevor man akzeptierte, dass die strahlend blauen Hoffnungen für die Zukunft übergegangen waren
in milchige Wunschbilder aus der Vergangenheit? War sie nicht schon längst wie die angebundene Gans, die sich vormachte, morgen werde es besser, dabei näherte sich stündlich das Hackbeil? Nur mit dem Unterschied, dass der schnelle Tod der Gans gnädiger war als der langsame Tod auf dem Stuhl vor dem Haus.
Ihr wurde schlecht. Sie stand auf.
Die Großmutter sah sie an, als wisse sie, was in Rosina vorgehe, und dann wagte sie es, schief zu grinsen.
»Boshafte alte Krähe«, flüsterte Rosina. »Aber du irrst dich, bei mir wird es anders.«
Die Großmutter lachte auf, es war ein höchst gemeines Lachen.
Rosina ging fort. Noch als sie den Hof schon verlassen hatte und um die nächste Ecke gebogen war, hörte sie Großmutters Gelächter, von dem sie wünschte, sie möge daran ersticken. Oh,
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