Der Schwarze Papst
jemand nur so arglos sein? Als Neffe jenes Mannes, der ein enger Weggefährte des Paters General war, genoss Miguel dessen Aufmerksamkeit. Trotz seiner Jugend hatte man ihn als Lehrer an diese wichtige Schule berufen, und gestern war ihm die Ehre zuteil geworden, neben dem Ehrwürdigen zu sitzen. Luis schmückte sich mit dem Namen Rodrigues und
schlug Gewinn daraus. Und dieser junge, portugiesische Holzkopf merkte nichts.
»Lassen wir das«, sagte Sandro ärgerlich. »Wann habt Ihr Johannes von Donaustauf zum letzten Mal vor der Messe gesehen?«
Miguel brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Die beiläufige Bemerkung Sandros schien ihn irritiert zu haben. »Kurz nach dem Mittagsmahl, Vater.«
»Und wo?«
»Hier, in diesem Zimmer. Ich hatte während des Essens den Eindruck gehabt, dass er sich nicht wohlfühlte, und wollte nach ihm sehen. Es stellte sich heraus, dass er am Vormittag einen Streit mit Bruder Königsteiner gehabt hatte, der ihm zusetzte, aber er schwieg sich darüber aus, und ich drängte ihn nicht. Ich sah ihm an, dass er müde war, und ging.«
»In Euer Zimmer?«
Miguel nickte. »Es ist ganz oben unter dem Dach. Dort ruhte ich, bis Bruder Königsteiner mich abholte, das war zwischen der vierten und fünften Stunde, deutlich näher an der vierten als an der fünften. Ich erinnere mich deshalb so gut, weil normalerweise eine Stunde vollauf genügt, um die Messe vorzubereiten, Bruder Königsteiner aber meinte, anlässlich des großen Tages noch gründlicher als sonst sein zu müssen. Also fegte ich zweimal den Kapellenboden und reinigte alle Figuren vom Staub.«
»Habt Ihr oder hat Bruder Königsteiner die Kapelle noch einmal vor der Messe verlassen?«
»Nein, Vater.«
Vorläufig blieb Sandro nichts anderes übrig, als diese Aussage hinzunehmen, sofern sie von Königsteiner bestätigt würde. Weitere Fragen fielen ihm derzeit nicht ein, worüber er froh war. Jeder mit Miguel Rodrigues verbrachte Augenblick war ein Ärgernis, und er bereute schon, das Gespräch mit ihm gesucht zu haben.
»Setzt meinetwegen Euer Gebet fort«, sagte er missmutig, als werfe er einem lästigen Hund den Knochen hin.
»Ihr habt keine Fragen mehr, Vater?«
»Wie rasch Ihr begreift, Bruder Rodrigues.« Sandro ärgerte sich über seine Ironie.
Der junge Rodrigues stand Sandro im Weg, direkt vor der Tür, und machte keine Anstalten, zur Seite zu treten.
»Was ist denn noch?«, fragte Sandro und gab Miguel kaum Zeit, zu antworten. »Nun redet schon! Wenn Ihr nur halb so gewandt antworten würdet, wie Ihr Gebete wispert …«
»Was habt Ihr eigentlich gegen mich?«, fragte Miguel.
Diese Frage brachte Sandro dazu, einen Schritt zurückzugehen. Er sah Miguel an. »Was soll denn das? Nicht das Geringste habe ich gegen Euch. Ich erledige meine Arbeit, das ist alles.«
»Und die Andeutung, die Ihr vorhin gemacht habt? Dass Bruder Luis ausgerechnet mich als seinen Schüler und Assistenten erwählt hat? Was bedeutet sie?«
»Ich habe wirklich keine Lust, das mit Euch zu diskutie - ren. Strengt Euren Kopf an, Bruder, mehr kann ich Euch nicht raten - auch wenn es sich als vergeblicher Rat herausstellen wird.«
»Wisst Ihr, was ich glaube? Ihr seid eifersüchtig auf mich.«
Sandro blickte entgeistert auf diesen unscheinbaren pickeligen Portugiesen, der nun artig den Kopf senkte und seiner Beschuldigung hinzufügte: »Verzeiht meine Offenheit, Vater.«
»Eifersüchtig?« Sandro sprach das Wort aus, als höre er heute zum ersten Mal davon, dass es existierte. »Ich eifersüchtig - auf Euch?«
»Ja.«
Sandro brach in helles Gelächter aus. Seit Jahren hatte er nicht mehr so gelacht.
»Lacht nur«, rief Miguel. »Das macht es nicht weniger wahr.
Bruder Luis ist einer der begabtesten, fähigsten und klügsten Köpfe unseres Ordens, vielleicht unserer Zeit, und Ihr ärgert Euch, dass nicht mehr Ihr, sondern ich mich seines Vertrauens erfreue. Das ist nicht recht. Ihr habt Bruder Luis alles, was Ihr heute seid, zu verdanken.«
Sandros Gelächter brach abrupt ab. »Hört mal, Bruder, es ist besser, wenn Ihr nicht über Dinge redet, von denen Ihr nichts wisst.«
»Bruder Luis hat mir heute Morgen alles erzählt. Wie Ihr damals versucht habt, ihn beim Papst schlechtzumachen. Wie Ihr Euch aus reiner Geltungssucht von ihm losgesagt habt, weil es Euch nicht mehr genügte, ihm zu assistieren. Ihr habt jemanden, der jahrelang zu Euch gehalten und Euch gefördert hat, im Stich gelassen, als er Euch wirklich brauchte. Und hätte
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