Der Schwarze Papst
irgendeinem König von Wessex gespendet worden, ein Königreich, das es schon lange nicht mehr gab. Vor einigen Jahrzehnten hatte man einen Campanile angebaut, der recht nett anzusehen war, mehr aber auch nicht, und kürzlich hatte eine gründliche Überholung des alten Mauerwerks stattgefunden. Die Lage allerdings war hübsch. Direkt an einer Tiberbiegung gelegen, konnte man den glitzernden Flusslauf nach Osten sowie nach Süden verfolgen, hatte sowohl die Engelsburg wie auch den von Pinien und Villen bestandenen Gianicolo im Blick und erfreute sich einer gewissen Ruhe und guter Luft, die beide im wachsenden Rom seltener geworden waren.
Dafür war die Luft im Inneren der Kirche fast unerträglich, stellte Julius fest, als er durch die Pforte eintrat. Es roch streng
nach etwas, wofür noch kein Wort erfunden worden war, und Millionen und Abermillionen kleinster Teilchen schwirrten durch den Raum. Nach wenigen Augenblicken hatte er das Gefühl, die Kehle stehe ihm in Flammen, und Julius sammelte so viel Speichel, wie er konnte, um den Brand zu löschen.
Wie konnte jemand nur von früh bis spät hier arbeiten?
Er drehte sich einmal um die eigene Achse, um den ganzen Innenraum zu erfassen. Viel gab es nicht zu sehen. Die Kirche war nicht groß und zudem eingerüstet. An einer Stelle jedoch waren die Arbeiten abgeschlossen. Über einer eher nüchternen Wand erhob sich ein Fenster, schlank und schön und bunt wie ein Teppich, darauf Gestalten in fließenden Gewändern, Prälaten, die sich versammelten, und mitten unter ihnen das Licht des Heiligen Geistes, ein grünes Licht, das Licht der Hoffnung. Die Farben leuchteten und erhellten den düsteren Kirchenraum. Eine einzige Öffnung nur in der Dunkelheit, ein Fenster zu Gott.
Gar nicht so übel, dachte er.
Als Italiener war Julius kein Anhänger des Glases in der Kunst. Er schätzte bemalte Wände und Leinwände: Correggio, Vecchio, Messina, Botticelli, Peruzzi, Raffaelo, Tiziano, Perugino, Michelangelo … Es waren ja so viele. Das war Kunst. Farbiges Glas zu zerbrechen und daraus Mosaike zu machen war etwas für Spanier und Franzosen - und für Deutsche wie diese Antonia Bender.
Sie stand etwas verloren am Fuße eines Gerüstes, so als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie vortreten oder verschwinden sollte.
Jetzt kam es darauf an.
Julius flüsterte zu sich selbst: »Wollen wir doch mal sehen, ob wir sie nicht auf den rechten Pfad führen können.«
Er legte sein gewinnendstes Lächeln auf, das Lächeln eines gütigen Patrons, und ging auf die Frau zu. Die Abfallprodukte
der Steinmetze lagen auf dem Boden verteilt, allerlei Bruchstücke und Staub, und gelegentlich auch dicke Placken von Spucke. Für einen Papst in allerlei Gewändern war ein solcher Kirchenboden wie der Grat eines Vulkans.
Dennoch hörte Julius nicht auf zu lächeln.
»Sei gegrüßt, meine liebe Tochter«, sagte er und nahm ihren Kniefall huldvoll entgegen. »Erhebe dich. Ich habe so viel Gutes über dich gehört, dass ich es nicht erwarten konnte, dich kennenzulernen. Eine Künstlerin. Eine Glasmalerin noch dazu. Wie außergewöhnlich. Wie beachtlich.«
Besser nicht so übertreiben, dachte er und versuchte, sie beiläufig zu mustern. Was Sandro bloß an ihr fand. Sie war ein bisschen arg schlank, aber das war Sandro ja auch. Und im Übrigen: ein blasser Teint, halb verblichene Sommersprossen, weizenblonde Haare, sehr wache Augen. Wie man sich doch irren konnte. Julius hatte sich unter Sandros Angebeteter immer ein schwarzhaariges Püppchen vorgestellt, nun erwies sich, dass Sandro und sie sich auf Augenhöhe befanden, auch was die geistigen Qualitäten anging. Kluge Frauen erkannte Julius sofort, hatte er sich doch selbst einmal in eine solche verliebt - in Maddalena, die auf so tragische Weise ums Leben gekommen war.
Wäre Antonia zu ihrer Klugheit noch eine umwerfende Schönheit gewesen … Nun ja, Geschmäcker waren bekanntlich verschieden. Zumindest war sie nicht hässlich. Im Grunde sah sie gar nicht so schlecht aus.
»Euer Besuch ist eine Ehre für mich, Eure Heiligkeit«, sagte sie.
»Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, deine Kunst zu bewundern, meine Tochter. Sandro spricht von nichts anderem. Er hat eine Schwäche für Diffuses. Das ist wohl auch der Grund, weshalb er so gerne Verbrechen aufklärt.«
Sie lachten beide. Er hatte einen Witz gemacht - mein Gott, wie lange war das schon nicht mehr vorgekommen!
»Er hat eine große Karriere vor sich.« Julius zwinkerte.
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