Der Schwarze Papst
Kutte, das ahnte Forli schon lange, steckte ein leidenschaftlicher Mensch, der von Ordensregeln und einer halb deutschen Herkunft gedeckelt wurde, sich aber gelegentlich befreite und sich dann ebenso mutig wie unkontrolliert Luft machte.
»Seid beruhigt, Carissimi, Euer Ordensgeneral wird keinen Grund zur Klage haben. Ich habe nicht vor, Fragen zu stellen und dergleichen. Ich werde einfach nur anwesend sein. Mehr nicht. Seht mich als Ratgeber. Als Ideengeber. Ich werde hier im Zimmer bleiben und niemanden belästigen. Dagegen kann keiner etwas haben.«
Carissimi schien noch immer nicht begeistert, aber Forli sah ihm an, dass er bei einer so großen Zahl von Verdächtigen und unter den Einschränkungen, die Ignatius von Loyola ihm auferlegte, eine fast übermenschliche Aufgabe vor sich hatte. Er brauchte jemanden, mit dem er über den Fall diskutieren konnte.
»Noch nichts Neues?«, fragte Forli, als Carissimi seinem Vorschlag nicht widersprochen hatte.
»Wenig. Doktor Pinetto lässt sich Zeit.« Carissimi berichtete Forli von seinen Gesprächen mit Miguel Rodrigues und Birnbaum, von den Tellern mit den kalten Speisen, die von Gisbert von Donaustauf vorportioniert worden waren, und fügte hinzu: »Nehmen wir an, das Gift war in einer der kalten Speisen, und zwar auf einem einzigen Teller. Dann hätte Gisbert nur dafür sorgen müssen, dass sein Bruder den entsprechenden Teller bekommt.«
»Wie wäre das möglich?«, fragte Forli.
»Sehr einfach: Gisbert war einer von denen, die die Teller verteilten.«
»Und war er es, der sie seinem Bruder servierte?«
Carissimi seufzte. »Das ist der Haken. Birnbaum erinnert sich nicht mehr, wer wem servierte. Da die Speisen fast gleichzeitig aufgetragen werden sollten, ging alles sehr schnell. Nicht einmal ich selbst weiß noch, wer mir meinen Teller servierte, und auch Angelo hatte nur Augen für geschmorte Kaninchen. Vielleicht kann Giovanna sich erinnern.«
»Was sagt Gisbert dazu?«
»Noch nichts. Ich war gerade auf dem Weg zu ihm, als ich Miguel Rodrigues dabei überraschte, wie er in diesem Zimmer betete. Daraus entspann sich dann - alles Weitere.«
»Alles Weitere, so so.« Forli wollte dieses Thema nicht wieder aufwärmen und sagte: »Euch ist hoffentlich klar, dass das ein ganz dünner Faden ist, an dem Ihr Eure Theorie da aufzieht. Falls, wenn, würde, hätte, wäre, könnte. Das kann ich auch. Passt mal auf, wie gefällt Euch das? Selbst wenn das Gift auf dem besagten Teller war und selbst wenn Gisbert ihn seinem Bruder serviert hätte , wäre damit noch längst nicht bewiesen, dass er wusste, was er tat. Genauso gut könnte es sein, dass Johannes’ Tod ein Fehler war, dass es jemand anderen treffen sollte? Oder dass es dem Mörder ganz egal war, wer an dem Gift sterben würde? Dass es jeden hätte treffen können?«
»Nicht schlecht, Forli.« Carissimi nickte. »Demnach hätte es auch den Ehrwürdigen treffen können.«
Forli fügte hinzu: »Und sogar Euch.«
Papst Julius wartete in der Sänfte darauf, dass die Wachen der Schweizergarde seinen Befehl ausführten. Er war ohne großes Gefolge ausgegangen. Normalerweise schleppte er einen Tross von Amtsträgern mit sich herum, wenn er den Vatikan offiziell verließ: Protokollbeamte, Diener, Schreiber, Mundschenke, Narren, Möchtegern-Günstlinge, kurz, Blutsauger des Heiligen Stuhls. Dieses neugierige Pack beobachtete ihn auf Schritt und
Tritt, um sich später hinter vorgehaltener Hand über dies oder jenes zu mokieren. Leider kam er nicht ohne Beamte aus, zum Regieren musste er nehmen, was da war. Und allein im Vatikan auf dem Stuhl Petri zu sitzen war schließlich auch keine verlockende Aussicht.
An diesem Vormittag jedoch hatte Julius ihnen ein Schnippchen geschlagen. Eigentlich hätte er eine Delegation irischer Mönche empfangen sollen, die den weiten Weg gemacht hatten, damit er eine Reliquie anerkenne und segne, aber er hatte sich kurz entschlossen entschuldigen lassen, war zum Gardekommandanten gegangen, hatte eine Sänfte und acht Gardisten als Begleitung herbeibefohlen und den Vatikan in Richtung Engelsburg verlassen.
Der Offizier erstattete Meldung. »Eure Heiligkeit, die Kirche ist geräumt, bis auf die betreffende Person. Wir haben die Leute durch eine Seitentür hinausgebracht.«
Julius nickte und verließ die Sänfte über eine kleine mobile Treppe. Er sah sich um. Die Kirche Santo Spirito war nun wirklich nichts Besonderes. Sie war vor über achthundert Jahren, Anno Domini 722, von
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