Der Schwarze Phoenix
waren gefüllt mit hunderten Biographien von betuchten Darkside-Familien. Aus einer Laune heraus blätterte Jonathan die Seiten um, bis er beim Buchstaben ›R‹ angelangt war. Er war wenig überrascht, als er einen Eintrag über die Rafferty-Familie fand:
R AFFERTY , R ALPH
Die Familie Rafferty kann sich rühmen, eine der angesehensten Abstammungslinien von Darkside aufzuweisen. Ralph Rafferty (gest. JdF 62), ein irischer Seefahrer, war einer der ersten Verbrecher, die nach Darkside verbannt wurden. Unter Ausnutzung seiner Verbindungen nach Lightside baute Ralph ein Schmugglerimperium am Teufelskai auf, der zu dieser Zeit nur aus einem kleinen Steg und zwei Lagerhäusern bestand. Sein Geschäftssinn war so ausgeprägt, dass Schätzungen aus dem JdF 45 zufolge die Hälfte aller Waren, die aus Lightside kamen, auf Raffertys Schiffen transportiert wurden. So überrascht es nicht,dass ein solcher Erfolg die Aufmerksamkeit des Rippers erregte, woraufhin Ralph sein Schmugglernetzwerk Jack zur Verfügung stellte. Ralphs Bemühungen ließen seine Familie in den Genuss einer engen Verbindung zu Darksides erster Familie gelangen. Nach Ralphs Tode trat sein Sohn Lionel seine Nachfolge an, der zusammen mit seinem kunstinteressierten Bruder Edwin den Thronfolgeanspruch auf das Familiengeschäft erhebt …
Aus dem Nebenraum ertönte erst ein dumpfer Knall und dann ein lauter Schrei. Jonathan ließ das Buch fallen. Sein Instinkt riet ihm, in der sicheren Bibliothek zu bleiben, aber die Stimme kam ihm bekannt vor. Als Jonathan sich wieder gefangen hatte, rannte er durch die Verbindungstür aus der Bibliothek und landete mitten im Tumult.
10
Mitten im Luxus, umgeben von Samt, dem Duft von Holzpolitur und dem Glanz der Silberleuchter prügelten sich zwei Männer vor einem Kamin. Ein schwerer Schürhaken hatte eine breite Rußspur auf dem roten Teppich hinterlassen und lag nun außer Reichweite. Einer der Männer war ganz in Schwarz gekleidet und verbarg sein Gesicht hinter einem violetten Tuch. Er hatte in dem Gerangel die Oberhand gewonnen und drückte den anderen Mann zu Boden. Es war der Herausgeber des Darkside-Kuriers, Lucien Fox.
Lucien spannte jeden Muskel an, um sich seines Angreifers zu erwehren, aber er war dem größeren und kräftigeren Gegner körperlich unterlegen. Knurrend löste dieser sich aus dem Griff des Verlegers und versetzte ihm einen Schlag gegen die Schläfe. Lucien stolperte rückwärts und fiel benommen auf den Teppich.
»He!«, rief Jonathan und rannte auf die beiden zu.
Der Angreifer wirbelte herum, bereit, seinen neuen Gegner anzuspringen. Als Jonathan sich schlagartig der Gefahr bewusst wurde, in der er sich befand, machte er einen Schritt zurück. Am anderen Ende des Zimmers flog die Tür krachend auf und Carnegiestürzte herein, den Hut schief auf dem Kopf. Er grinste Luciens Angreifer wölfisch an.
»Ich kann nicht glauben, dass ihr ohne mich angefangen habt! Ich mach dir einen Vorschlag: Du erledigst den Jungen und dann spielen wir miteinander. Das klingt doch fair, oder?«
Die Augen des Mannes verengten sich, als er den Detektiv beäugte. Carnegie knackte mit seinen Klauen, darauf besann der Mann sich eines Besseren und rannte zum Fenster. Bevor ihn jemand aufhalten konnte, hatte der Angreifer das Fenster aufgerissen und war auf das Sims gesprungen. Er grüßte mit einer ausladenden Handbewegung und verschwand. Jonathan und Carnegie rannten zum Fenster und sahen, wie er über die Dächer der benachbarten Häuser hetzte und verschwand.
»Nicht schlecht«, bemerkte Carnegie anerkennend. »Sieht so aus, als würden wir es dieser Tage mit etwas talentierteren Halunken zu tun bekommen.« Er wandte sich zu Jonathan. »Und was hattest du vorhin vor? Brennnessel mit seinem Unterarm spielen?«
»So weit hab ich nicht gedacht. Aber ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.«
Hinter ihnen rumpelte es.
»Macht euch keine Sorgen um mich. Mir geht es gut.«
Lucien rieb sich energisch die Stirn und fluchte still vor sich hin. Jonathan ging zu ihm hinüber und half ihm in einen Stuhl. Ein Hustenanfall erschütterte den Brustkorb des Herausgebers. Er wischte sich etwas Blut mit einem Taschentuch aus dem Mundwinkel, blickteauf und quittierte Jonathans sorgenvollen Blick mit einem reumütigen Lächeln.
»Sag mal, Starling Junior, bekommt eigentlich jeder, der mit dir zusammenarbeitet, einen Schlag auf den Kopf?«
»Normalerweise kriegt nur der Junge was ab«, erwiderte Carnegie. »Was ist
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