Der Schwarze Phoenix
hervor, schrieb schnell etwas auf einen Zettel und faltete ihn zusammen. Anschließend gab sie Raquellas Mutter einen Kuss auf die Wange.
»Wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich bitte jederzeit bei mir.«
Sie drehte sich zu den anderen um.
»Es war wundervoll, euch alle wieder einmal gesehen zu haben. Wir sollten nicht so viel Zeit bis zum nächsten Wiedersehen verstreichen lassen, nicht wahr?«
Marianne ließ den Zettel dem verblüfften Jonathan in den Schoß fallen, zwinkerte ihm zu und verließ den Raum. Humble befreite sein Bein vorsichtig aus Dannys Umklammerung und folgte ihr.
Mit leicht zitternden Händen entfaltete Jonathan den Zettel und las Mariannes Nachricht.
»Was hat sie dir gegeben?«, fragte Carnegie.
»Einen Hinweis«, erwiderte Jonathan. »Sie hat uns einen Hinweis gegeben, wo wir Nicholas de Quincy finden können.«
16
Um ein Uhr morgens tummelten sich drei Gestalten neben einer Droschke, die am Rand eines matschigen Pfades hielt. Sie waren viele Meilen in Richtung Südwesten gefahren und hatten das immerwährende Chaos der Hauptstraße hinter sich gelassen. Sie hatten die Baelmonk-Brücke überquert und schließlich die matschigen Pfade erreicht, die von Hecken und Büschen gesäumt waren, deren verwelkte braune Blätter wohl das darstellten, was man in der Schattenwelt als »blühende Landschaften« bezeichnete. Selbst im Dunkel der Nacht ließen sich die drei Silhouetten deutlich unterscheiden: Die erste war groß und schlank, die zweite klein und rund, und der gewaltige Umriss der dritten wurde von einem großen Zylinder gekrönt.
Arthur schmierte sich gerade Schuhcreme ins Gesicht, als er innehielt und Carnegie einen empörten Blick zuwarf.
»Hättest du nicht wenigstens deinen Hut in der Kutsche lassen können?«
»Er könnte gestohlen werden! Und überhaupt, wo ich hingehe, geht der Hut auch hin.«
Der Reporter seufzte und steckte die Schuhcreme wieder in die unförmige Tasche, die über seiner Schulter hing.
»Wir sollten jetzt los. Der Mond hat sich hinter ein paar ziemlich dicken Wolken verzogen, das sollte uns entgegenkommen.«
Carnegie sah Arthur neugierig an.
»Seit wann bist du denn ein Einbruchexperte?«
Arthur zuckte mit den Schultern.
»Ich bin Reporter. Manchmal muss man eben einen Schritt weitergehen, um eine gute Geschichte zu bekommen.«
»Wie weit? In die Schlafzimmer fremder Leute?«
»Wenn es sein muss. Schließlich habe ich auf diese Weise den Entführungsfall der Wilberforce-Zwillinge aufgeklärt. Was ist daran so lustig?«
Jonathan hatte vergeblich versucht, ein Lachen zu unterdrücken.
»Es tut mir leid, Arthur. Es ist nur … na ja, du siehst nicht gerade wie der typische Einbrecher aus.«
Der Reporter funkelte ihn an.
»Ich bin schon in Herrenhäuser in der Savage Row eingebrochen, da hast du noch in die Windeln gemacht. Kümmere dich lieber um dich selbst.«
Er betrachtete nochmals Mariannes Nachricht.
»Also, wenn die Kopfgeldjägerin recht hat, dann sollte sich de Quincys Haus hinter diesen Bäumen befinden. Folgt mir und passt auf, wo ihr hintretet.«
Arthur bewegte sich erstaunlich sicher zwischen den Bäumen, dicht gefolgt von Carnegie. Im Gegensatz zuihnen musste sich Jonathan auf jeden Schritt konzentrieren, um zu vermeiden, dass er geräuschvoll auf Äste oder Zweige trat. Zwischen den morschen Baumstämmen zogen Nebelschwaden hindurch. Abseits der Fabriken und Schornsteine, die das Zentrum von Darkside dominierten, war die Luft im Wald frischer und kühler, als Jonathan erwartet hatte. Sein Atem bildete weiße Wölkchen in der Luft.
Er wusste nicht genau, wie lange sie so durch den Wald geschlichen waren, als Carnegie ihn plötzlich warnend am Arm festhielt. In der Dunkelheit konnte Jonathan eine hohe Steinmauer ausmachen, die vor ihnen in den Himmel aufragte. Um sie herum waren die Bäume abgeholzt worden, um zu verhindern, dass mit ihrer Hilfe jemand die Mauer überwinden konnte. Für den Fall, dass die Höhe des Bauwerks nicht ausreichte, hatte man es an der Oberkante noch mit spitzen Stahldornen ausgestattet.
Carnegie schüttelte den Kopf.
»De Quincy wünscht wirklich keinen Besuch.«
Arthur griff in seine Tasche und holte ein Seil hervor, an dem ein Haken befestigt war.
»Ich könnte mir vorstellen, dass die Mauer unser geringstes Problem sein wird«, murmelte er.
Er nahm ein paar Schlaufen des Seils in die Hand, ließ das Ende mit dem Haken einige Male geübt in der Luft kreisen und warf es über die Mauer. Mit einem
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