Der Schwarze Phoenix
versteckt hatte. Beide blickten auf eine makabre Szenerie hinab.
Der große Speisesaal des Kain-Clubs war bereits Schauplatz einiger der wüstesten und längsten Gelage in der Geschichte Darksides gewesen. Er war sechzig Meter lang und beherbergte zwei schwere Eichentische, die sich über die gesamte Länge des Saals erstreckten. Am hinteren Ende befand sich unter einemriesigen Clubwappen ein Podium, von dem Jonathan vermutete, dass die angesehensten Mitglieder des Clubs auf ihm sitzen durften und über dem Rest der Gäste thronten. Im Gegensatz zu den anderen Räumen des Kain-Clubs hingen hier keine Fotografien oder Gemälde an den dunkelrot gestrichenen Wänden. Es gab auch keine Fenster, sodass kein Tageslicht in den Saal dringen konnte. Stattdessen stand eine Reihe ausladender Kerzenleuchter wie eine stumme Ehrengarde auf den Tischen und tauchte den Mittelgang in ein feierliches Licht.
William Joubert stand auf dem Podium. Seine Hände waren hoch über seinem Kopf an die ineinander verschlungenen Buchstaben des Wappens gefesselt. Man hatte ihm das Hemd am Rücken aufgerissen und sein Oberkörper war von roten Striemen überzogen. Sein Kopf hing zur Seite. Es war offensichtlich, dass man ihn geschlagen hatte. Arthur lag bewusstlos zu seinen Füßen.
Dann war da noch ein dritter Mann im Saal, der mit gefalteten Händen ruhig am Rand des Podiums saß. Als die Tür krachend aufflog, hatte er sich langsam erhoben, sich der Galerie zugewandt und die Arme zu einer Geste der Begrüßung ausgebreitet.
»Guten Abend, meine Herren«, rief Lucien. »Ich habe Sie bereits erwartet.«
24
Sie hatten ganz Darkside nach ihm durchsucht. Sie hatten der Gefahr im »Mitternacht« und im Kain-Club ins Auge geblickt und im Panoptikum hatten sie den blanken Horror erlebt. In Lightside wäre Jonathan beinahe verbrannt, nur um seine Identität aufzudecken. Aber die ganze Zeit über hatte Bruder Flink in den Büros des »Darkside Kurier« gesessen.
Jonathan blickte auf ihn herab und versuchte, die ausgezehrte Gestalt, die er dort sah, mit dem Bild des teuflischen Genies in Einklang zu bringen, das er sich vorgestellt hatte. Lucien hatte eine schiefe Körperhaltung eingenommen, die es ihm ermöglichte, sich auf sein gesundes Bein zu stützen, aber sein starrer Blick war auf eine Weise klar und ruhig, wie Jonathan es nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
»Warum kommen Sie nicht herunter und leisten uns Gesellschaft?«, rief Lucien mit seiner vertraut sonoren Stimme zu ihnen hoch. »Ich bin mir sicher, dass Arthur und William sich über Ihre Anwesenheit freuen werden.«
Carnegie leckte sich nervös die Lippen und schätzte die Situation ein. Abgesehen von den drei Männern aufdem Podium schien niemand im Saal zu sein, aber es konnten sich alle möglichen bösen Überraschungen im Schatten verbergen.
»Leben sie noch?«
»Oh ja. Noch.« Lucien hinkte zu Arthurs erschlafftem Körper hinüber und zog seinen Kopf an den Haaren hoch. »Trotzdem würde ich mir an Ihrer Stelle nicht zu viel Zeit lassen. Wer weiß, was ich noch so anstelle, wenn ich mit ihnen alleine bin?«
Er blickte grinsend zu ihnen hinauf, und plötzlich hatte Jonathan keine Zweifel mehr, mit wem er es zu tun hatte. Er war Lucien Fox und er war Bruder Flink. Er war ein Ripper und er hatte sein eigen Fleisch und Blut ermordet.
»Warten Sie!«, rief Carnegie. »Wir kommen.«
Während er sprach, zog er langsam etwas aus seiner Tasche und steckte es verstohlen Harry zu, der immer noch im Verborgenen hinter der Balustrade kniete.
Mit einem Satz schwang sich der Wermensch über das Geländer und ging leicht in die Knie, als er auf einem der großen Tische landete. Er drehte sich um, blickte erwartungsvoll zu Jonathan hinauf und bedeutete ihm, seinem Beispiel zu folgen. Es war ein tiefer Sprung in die Halle, aber Jonathan wollte die Aufmerksamkeit von der Galerie und von Harry lenken. Er schwang seine Beine über die Balustrade, atmete tief durch und ließ sich fallen. Er landete hart auf dem Tisch und seine Knie knackten beim Aufprall. Luciens Augen weiteten sich.
»Jonathan! Ich bin überrascht, dich zu sehen. Ich habe Correlli strikte Anweisung gegeben, dich nicht am Leben zu lassen.«
»Er hat sein Bestes gegeben«, hielt Jonathan dagegen und hoffte, dass er mutiger klang, als er sich fühlte. »Haben Sie in letzter Zeit etwas von ihm gehört?«
Lucien nickte anerkennend.
»Eine beherzte Antwort. Du schlägst in dieser Hinsicht nach deiner Mutter. Sie fand auch immer
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