Der Schwarze Phoenix
unsichtbaren Gegner. Seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren: Er konnte Carnegies rasselnden Atem hören, der mehr dem Atem einer Bestie glich als dem eines Menschen. Er sah Harry, der sich in seinen eigenen Gedanken an blutige Rache verlor. Er konnte seine eigene Furcht beinahe schmecken.
Und dann sah er ein paar Gestalten vor sich, die gelangweilt an den Wänden des Korridors lehnten. Es waren vier Männer, deren Gesichter sich hinter den fratzenhaften Masken verbargen, die sie als Mitglieder des Clubs kennzeichneten. Ihre Anzugjacken waren von langen Rissen durchzogen und ihre weißen Hemdenwaren blutverschmiert. Sie trugen alle Messer bei sich. Als sie die Eindringlinge bemerkten, baute sich einer von ihnen vor der Gruppe auf.
»Wen haben wir denn hier?«, fragte er seine Kumpane höhnisch. »Die sehen nicht aus wie Mitglieder. Sie sind auch nicht angezogen wie Mitglieder. Wisst ihr was, ich glaube, die sollten gar nicht hier sein.«
»Wenn das so ist«, erwiderte ein anderer, »dann müssen wir ihnen wohl wehtun. Das hier ist schließlich ein Privatclub.«
Carnegie knurrte.
»Das ist nicht euer Kampf. Verschwindet und ich lasse euch am Leben.«
Der Anführer kicherte.
»Wie großzügig von dir!« Er schwang sein Messer. »Dann komm mal her, mein kleiner Köter, und lass dich dressieren.«
Sie stürzten sich mit erhobenen Waffen auf sie. Zwei Männer schnappten sich Carnegie, während sich die beiden anderen jeweils einen der Jungen vornahmen. Jonathan hörte, wie Harry aufschrie, bevor er sich ducken musste und ein Messer über seinen Kopf hinwegsauste. Der Angreifer verlor das Gleichgewicht und stöhnte, als ihm Jonathan das Brett in die Rippen stieß. Anschließend schlug Jonathan reflexartig nochmals auf den Mann ein und schickte ihn mit einem Krachen zu Boden. Er wollte gerade nach dem Messer greifen, als ihn eine starke Hand zurückhielt. Er wirbelte herum und holte mit dem Brett aus, als er in Carnegies haariges Gesicht blickte.
»Den übernehme ich.«
Die Körper der beiden anderen Männer lagen zusammengesackt auf dem Boden. Carnegie war nicht einmal außer Atem. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hatte er lautlos gekämpft. In seinen Augen glänzte Zufriedenheit, und Jonathan wusste, dass Carnegie sich wohler fühlte, wenn er seine Krallen ausgefahren hatte und das Blut der Bestie durch seine Adern pumpte.
Hinter ihm stand Harry neben einem weiteren Körper und stützte seine Hände auf die Knie. Er zitterte, war aber unverletzt.
Der verbleibende Angreifer startete eine aussichtslose Attacke auf Carnegie, der ihm beinahe geistesabwesend das Messer aus der Hand trat und ihn zu Boden schleuderte.
»Wartet um die Ecke auf mich«, befahl er. »Es wird nicht lange dauern.«
Normalerweise hätte Jonathan mit ihm diskutiert, aber diesmal besann er sich eines Besseren. Nicht heute Nacht. Er packte Harry am Ellenbogen und führte ihn den Gang hinunter. Sie warteten auf die Schreie, aber es ertönten keine. Nach ein paar Sekunden kam Carnegie ruhig um die Ecke spaziert.
»Er hat nicht darauf gewartet, dass ich ihm Fragen stelle, und hat stattdessen eine Giftpille geschluckt.«
»Sieht so aus, als wären wir auf der richtigen Fährte.«
»Vielleicht. Bleibt dicht bei mir. Ihr seid nun mal nicht für so was gemacht.«
Sie hatten kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als die Stille von einem gellenden Schrei zerrissen wurde. Jonathan konnte nicht sagen, von wem er stammte, aber Carnegie sprintete sofort los. Jonathan hetzte hinter ihm her. Sie rannten tiefer in das Gebäude hinein, dann eine Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Jonathan hoffte, dass das gute Gehör des Wermenschen ihnen den richtigen Weg weisen würde.
Er war bisher sehr stolz auf seine Schnelligkeit gewesen, die er im Laufe der Jahre oft unter Beweis gestellt hatte, aber er hatte keine Chance, mit Carnegie Schritt zu halten. Mit flatterndem Mantel schien der Wermensch mit seinen langen Schritten förmlich über den Boden zu fliegen. Jonathan strengte sich an, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Zum Glück war Harry bei ihnen: ein durchtrainierter, von Wut getriebener junger Mann, der Jonathan überholte und dem Wermenschen auf den Fersen blieb. Als Jonathan schon das Gefühl hatte, seine Lungen würden bersten, brach er durch eine Seitentür und fand sich auf einer Galerie im ersten Stock wieder. Carnegie war neben der Balustrade zum Stehen gekommen, während Harry sich hinter dem Geländer geduckt und
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