Der schwarze Prinz
das Werk eines wahnsinnigen Bildhauers.
Die Verwüstung führte weiter in Richtung des Kerns der Burg. Doch die Leiche von Laurin selbst hatte Svenya bisher noch nicht entdeckt, obwohl sie aufmerksam danach Ausschau hielt - noch mehr aber suchten ihre Augen nach denen von Wargo und Yrr.
Auch Lau’Ley war nicht unter den Toten.
Svenya holte aus einer Tasche das goldene Fläschchen, das König Alberich ihr vor der Reise nach Gotland gegeben hatte und mit dem sie im Notfall ihre Widerstandskräfte in einem Kampf gegen Hel steigern konnte. Sie überlegte, es schon jetzt zu nehmen, aber Alberich hatte gesagt, es forderte einen hohen Preis - also wartete sie und hoffte, dass es noch rechtzeitig genug wäre, wenn sie Hel tatsächlich finden und ihr gegenübertreten würde.
Sie hatte das sichere Gefühl, dass das nicht mehr lange dauern würde. Und tatsächlich: Schon kurz darauf hörte sie Kampflärm von weiter vorne - und Schreie. Anders als in Vineta konnte Svenya die Blitze noch nicht sehen, aber sie fühlte, wie sie die Festung der Dunkelelben erschütterten.
»Es wäre vielleicht doch klüger, auf Verstärkung zu warten«, gab Loga zu bedenken.
Svenya schüttelte den Kopf. »Sie hat bereits vier der Schwerter. Sobald sie das fünfte bekommt, öffnet sie das Tor. Keine Zeit für Verstärkung.«
Ein weiteres, nahes Blitzen brachte die Felswände um sie herum zum Erbeben - und wieder waren da diese schrecklichen Schreie. Svenya ertrug sie nicht länger.
»HEEEEL!«, rief sie aus Leibeskräften - und zu ihrer eigenen Überraschung war ihre Stimme gewaltiger als jemals zuvor und hallte von den Höhlenwänden wider. »HEEEEL!«
Sie hoffte, die Göttin damit vom Töten abzulenken.
Der Gang, den sie entlangflogen, zwang sie, erst nach rechts und gleich darauf wieder nach links abzubiegen. Jetzt wurde der Blick frei auf den Teil einer größeren Halle. An deren anderem Ende stand hinter einem halben Dutzend toter Dunkelelbenkrieger...
Lau Ley!
Die Sirene wirkte stark angegriffen und hielt das Schwert Gram schützend vor ihre Brust. Ihre vor Todesangst geweiteten Augen blickten in eine Ecke der Halle, die Svenya von ihrer gegenwärtigen Position aus noch nicht einsehen konnte.
Svenya hob ihre Tarnung auf und lenkte Loga in den weiten Raum hinein. Ihre Hand legte sich fester um den Griff Skalliklyfjas. So bekam sie die Angreiferin, vor der Lau’Ley so viel Furcht hatte, endlich ebenfalls zu Gesicht - und jetzt waren es Svenyas Augen, die sich weiteten. Jedoch nicht vor Angst, sondern vor Überraschung.
Die Frau, die am anderen Ende der Halle stand, war ... Yrr!
52
Svenya befahl Loga, Lau’Ley nicht aus den Augen zu lassen, sprang vom Rücken des Gargoyles, lief an Yrrs Seite und suchte die Halle ab nach verräterischen Schlieren in der Luft, um auszumachen, wo die unsichtbare Göttin des Totenreichs sich gerade bewegte ... aber sie fand keine.
»Hel!«, rief Svenya wieder, so laut sie konnte. »Zeig dich!« Sich halb zu Yrr wendend, flüsterte sie: »Wo ist sie hin?«
Da hörte sie ein leises, amüsiertes Kichern. Ganz aus der Nähe. Von dort, wo Yrr schräg hinter ihr stand.
»In Deckung, Yrr!«, schrie Svenya und wirbelte herum - dabei selbst eine geduckte Haltung annehmend. Hel musste irgendwo hinter Yrr sein.
Zu Svenyas Verwunderung hatte Yrr nicht auf ihre Warnung reagiert und stand noch genauso stoisch auf ihrem Platz wie in den Momenten zuvor.
»Runter, Yrr!«, befahl Svenya noch einmal, doch auch jetzt bewegte Hagens Tochter sich nicht. Dafür aber wiederholte sich das Kichern, und Svenya sah, wie sich Yrrs Mundwinkel dabei nach oben zogen.
Yrr neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Svenya mit der amüsierten Neugier, mit der ein Kind das erste Mal eine Ameise zu Gesicht bekommt und beobachtet. »Du schon wieder?«
Svenya zuckte zusammen. Das war nicht die Stimme Yrrs - es war die Stimme Hels ... aber sie kam aus Yrrs Mund!
Svenya machte aus der Hocke einen Sprung zurück, wollte ihr Schwert ziehen, überlegte es sich dann jedoch anders und ging in Verteidigungsposition. Jetzt sah sie, wie Yrrs Augen die Farben wechselten ... das eine wurde schwarz, das andere weiß ... und auch die Farbe ihres Gesichts wechselte ... die eine Seite hell, die andere dunkel.
Hel steckte in Yrrs Körper! Die Erkenntnis traf Svenya wie ein Schlag.
»Lass sie sofort frei!«, forderte sie. »Verlass ihren Körper - auf der Stelle!«
Yrr-Hel schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, ich brauche ihn nicht mehr
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