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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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schön, du bist vierzig, es geht dir gut, du bist schöner als viele Kolleginnen, schöner als jede Frau deines Alters in diesem Dorf, du bist begehrenswert und wirst begehrt, du hast eine Arbeit und hast deinen Mann zum Teufel schicken können, als klar war, dass dir nichts anderes übrig blieb.
    Was genau stimmt nicht? Du hast CDs, Bücher, Parfums und Lippenstifte, einen Wagen mit Autoradio und ein Gehalt, du kannst deine Versetzung beantragen, wenn du willst, vielleicht bewilligen sie sie dir.
     
    Sie beginnt sich zu erinnern, nennt sich eine dumme Pute, denn mit solchen Gedanken tut sie sich nur weh, sie überlegt, eine andere Musik aufzulegen, einen kubanischen Tanz, schnelle sonnige Klänge.
    Du hast schon immer viele Liebhaber gehabt, seit du aufs Gymnasium gingst und dumm und fröhlich warst und glücklich lächeltest, immer schon haben sie dich eine Hure genannt, eine für immer gebrandmarkte Frau, und sie haben deinem sterbenden Vater diesen Brief geschrieben, um ihn noch trauriger sterben zu lassen, sie haben aufgeschrieben, was du warst, was du für sie warst, eine Hure, und du wusstest, dass es so weitergehen würde, für immer vielleicht, wenn du bleiben würdest, wenn du die Ohrfeigen deiner Mutter für diesen Brief, für gewisse Sätze, für gewisse Äußerungen hinnehmen würdest, und du hast den Mut gehabt, in die Stadt zu gehen, und du hast Arbeit gefunden, und es ist nicht leicht gewesen, es ist nicht schön gewesen wegzugehen, während dein Vater im Sterben lag, der Mensch, der dich am meisten liebte, und das ist nicht nur so dahingesagt, vielleicht hat dieser Schmerz etwas in dir zerbrochen, an jenem Nachmittag in dem dunklen Haus, denn das geringste Licht, das geringste Geräusch tat ihm weh, als er dir sagte, du sollst zurückkehren, deine Mutter nicht allein lassen, und du hast es ihm nicht versprechen können und hast das Gefühl gehabt zu sterben, vielleicht war das der Anfang von allem Übel.
     
    Sie spricht zu sich selbst, Marta Deiana, draußen stürmt und regnet und blitzt und donnert es, das eingenickte Dorf belauert die Wolken, wägt die Vor- und Nachteile dieses Wassers ab, in den Häusern kochen Männer und Frauen Kaffee, denken an die Schnecken, die sie morgen suchen werden, in ihren Häusern verbrennen alle das Holz in den Kaminen, verbrennen den Nachmittag auf den Sofas in den Betten, am Telefon die sechzehnjährigen Verliebten, nur die Verrückten wandern von Bar zu Bar, betrachten den Himmel, schreien ihn an, bitten um Vergebung für die Übel aller, schwören Gott, dass sie ihn, wenn die Gelegenheit sich bietet, für diesen Regen und für das Leben, das sie führen, büßen lassen werden.
    Er regnet und donnert und blitzt, und in Nuraiò stirbt man vor Langeweile.
     
    Mit achtzehn hatte sie sich mit den Verrückten zusammengetan, ondulierte Haare, die Friede Liebe Revolution! schreien, und harte Gesichter von Menschen, die Bescheid wissen und keine Angst haben und niemals aufgeben, in der Unterprima war sie ihnen eines Tages, abends, an der Bushaltestelle begegnet, sie hatten ihr etwas zu rauchen angeboten, hatten sie zu einer Versammlung eingeladen, und sie war mit ihnen gegangen.
     
    Reden und nochmals Reden und Bomben- und Morddrohungen, Tod den Feinden der Insel des Meeres der Sonne, Abende, an denen sie nicht aufhörten zu brüllen, über Drohungen abzustimmen, die möglichst schnell verschickt wer den sollten, Marta sitzt da und hört zu und langweilt sich und denkt an den Schönsten von ihnen, der einen von zehn Abenden kommt, der niemanden ansieht und fast nichts sagt, und wenn er spricht, hören ihm alle zu, der Junge aus der Stadt mit einem Ohrring an der Lippe und Negerhaar, der Trompete spielt und schief über die Wut der anderen lächelt, der immer wieder sagt, man solle ruhig bleiben, gründlich nachdenken, der Marta von Zeit zu Zeit zulächelt und sie eines Abend gefragt hat, ob sie Filme mag, sie in Cagliari auf eine Pizza eingeladen hat, als entführte Siebzehnjährige ist sie ihm gefolgt, ohne zu antworten, schon verloren hinter seinem fliehenden Blick.
     
    Hure hatten sie sie in ihrem Dorf genannt, und eine Besessene und Feuerkopf und was ihnen noch so einfiel. Kurzes Haar, wache Augen, fester Blick, der sich nicht abwendet, aufrichtiges Lächeln, dann war sie in Cagliari, die Arbeit in den Bars, in den verrauchten Schankwirtschaften, wo sie Bier und Drinks ausschenkte, die Einladungen zum Abendessen, das Zwicken, dem man schnell ausweichen musste, den

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