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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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schöner Ort wäre, um dort die Abende mit dem richtigen Jungen zu verbringen, der kommen wird, wenn früher oder später auch sie groß sein würde.

4
    Maresciallo, entschuldigen Sie vielmals, dass ich Sie störe, aber Sie müssen sofort kommen. Nicht in die Kaserne, ich gebe Ihnen die Adresse, ja, meine Schwester.
    Hat der Richter angerufen?
    Nein, er hat sich nicht gemeldet. Aber ich glaube, dass wir ihn danach unbedingt anrufen müssen.
    In zwanzig Minuten bin ich da. Geht nicht aus dem Haus, bewegt euch nicht von dort fort, macht einen Kaffee.

5
    Sieben Uhr. Ein heftiger Regen fällt, der niemals Schnee sein wird, denn so kalt es in dieser Gegend auch sein mag, gefrorene Flocken hat man nie gesehen, denn eine Woge von Licht wäre bereits ein Fest, die Kirche, die Gemeinde unter dem strahlenden Weiß, die Kinder auf den Straßen, die sich diesen Schnee lachend zuwerfen, Das wäre zu viel, denkt Marta Deiana und starrt auf die Straße, Zu viel fröhliches Licht, nur gefrorener Regen in Nuraiò, und dunkle Erde und kahle Bäume, hinter ihrem Fenster wartet Marta auf den Besuch, heute Abend, des letzten Mannes, der sie nicht langweilt, des letzten wirklich verbotenen Liebhabers, eines jungen Priesters, der sie küssen und dabei um Verzeihung bitten wird für weiß der Teufel was, der nicht mit ihr sprechen will, weil es nichts mehr zu sagen gibt, der Mann wird sich schweigend von ihr verabschieden und sich umdrehen und gehen, Marta wartet auf ihren ehemaligen Schüler, der Priester geworden ist, und glaubt, dass es eine traurige Nacht sein wird, und sie weiß noch nicht, dass nach diesem alten Liebhaber noch ein anderer kommen wird, sie werden sich fast auf der Treppe begegnen, die beiden, ein anderer alter betrunkener Liebhaber, der sie noch immer liebt.
    Marta hat um sieben Uhr abends die Augen auf die Straße dort draußen gerichtet, sie denkt an die Zeit, da sie dreizehn war, als sie lebendig, glücklich war.
    Mit dreizehn war sie die Erste, die in ihrer Familie ein Buch geschenkt bekam, neu, aus dicker Pappe mit Zeichnungen von Schlössern und Königen, das erste Mädchen in ihrer Familie, das mit einer Schultasche in die Schule ging, mit Buntstiften, mit dem Willen, diese seltsamen Tiere, die Worte, kennen zu lernen und mit ihnen zu spielen.
    Mit fünfzehn war sie lebendig, wenn der Vater nach Hause kam, seinen gelben Schal um den mageren Hals, und zu ihr sagte, Du bist wunderschön, und ihr Haar küsste und ihr die Tränen in die Augen traten, weil er allmählich immer mehr Mühe beim Atmen hatte, und sie spürte, wie eine verdammte Angst, sie nicht erwachsen sehen zu können, immer stärker in ihm wurde, seine wunderschöne Tochter, als sie fünfzehn war und ihren Vater sah, dessen runzlige Augen sich schmerzlich schlossen, um die Tränen zurückzuhalten, sie fühlte sich stark wie sonst niemand, und es gelang ihr, ihn zu umarmen und ihm Kraft zu geben, nicht zu weinen, durchzuhalten, sich zu sagen, dass es nicht weiter schlimm sei, dass die Ärzte keine Ahnung hätten.
     
    Das erste Mädchen, das einen Preis gewann, nicht einmal das Wort hatte sie jemals gehört, ein Wettbewerb.
    Ein Preis für Aufsätze, ein Aufsatz über die Poesie, so viele vielköpfige Tiere, eines neben dem andern, Worte, die mehr sagen, als es den Anschein hat, Worte, die Geheimnisse haben: Gedichte.
    Das hatte sie geschrieben. Wie der Klang des Meeres, schweigend auf den Klippen ausgestreckt mit deinem Freund, gefällt dir dieser Klang, wie Musik, aber was sagt er dir? Warum gefällt er dir, verstehst du ihn?
    Du verstehst ihn nicht, zumindest nicht alles, aber er gefällt dir trotzdem, du spürst, dass sie etwas sagt, die Poesie, so ist es mehr oder weniger.
    Ich habe verstanden, erwiderte ihr Vater, und sein rissiges Gesicht öffnete sich in einem Lächeln, Wie die amerikanischen Songs, und er presste kräftig ihre Hände, weil er es nicht loslassen wollte, sein Mädchen, das von Jungs zu sprechen begann, mit denen man allein auf die Klippen ging, Wie die französischen Chansons, man versteht nicht alles, aber man mag ihren Klang, sie umarmte ihn, erzählte ihm noch von Rom, von den Spaziergängen und der Stadt, die so groß und so schön ist, dass sie unecht wirkt, der Lehrerin, den Erzählungen über die Zenturios die Konsuln die Gladiatoren, als wären sie in diesem Augenblick hier bei ihnen gewesen und sie küsste seine Wangen und es brach ihr das Herz, ihn so husten zu sehen, die Brust erschüttert von den plötzlichen

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