Der schwarze Regen
Hexen und Dämonen standen erneut zwischen ihnen.
3
Fünf Uhr. Marta hat eine Verabredung für den Abend, aber sie denkt nicht daran, noch nicht, ein paar Stunden hat sie noch bis dahin, und es ist nicht einmal sicher, ob ihr Gast überhaupt kommt.
Sie hat etwas Plüschiges angezogen und hört Tango und Flamenco, sie hat Kopfschmerzen, vielleicht liegt es am Regen am schon dunklen Himmel.
Und doch ist es nicht immer so gewesen, denkt die Frau, auf der anderen Seite des Fensters geht Marianna Piga vorbei, die Cousine ihres Mannes, sechs Jahre jünger als sie und schon ein Jahrhundert alt, auf der anderen Seite des Fensters ist es dunkel, aber man hört noch immer die wütenden Schreie der Sechzehnjährigen, ganz in der Nähe, auf dem Schulhof, die Flüche, die Beschimpfungen, die heftigen Tritte gegen den Ball, Parieren Strafstöße Tor, die Motorroller, das Aufheulen der Motoren, das Kreischen der Bremsen.
Und doch ist es nicht immer so gewesen, denkt Marta, so mühselig dunkel grau.
Im Schlaf nach dem Mittagessen hat sie von ihrer Mutter geträumt, von ihrem Vater und seinem eingefallenen Gesicht eines müden Grubenarbeiters, das dumme Gesicht von Onkel Pasquale, dem Mundharmonikaspieler, Hochzeitsessen von inzwischen gestorbenen Verwandten, fortgegangen und nicht zurückgekehrt.
Draußen regnet es, Marta lauscht Gitarrenklängen und denkt an die Vergangenheit.
Der Vater von Marianna Obinu begleitete sie zum Meer, und manchmal kam auch Teresa, ihre Cousine, mit, und die jüngere Schwester Cristina, Madonna genannt, weil sie blaue Augen und ein vollkommenes Gesicht hatte, eine Statue, das schönste Mädchen im Dorf.
Das schönste nach Marta, die mit dreizehn bereits eine Schönheit war, der man mit offenem Mund nachsah, ein Mädchen wie gemalt, weiße Haut in einem Dorf, in dem die Menschen dunkler als die Nacht sind, Haut wie Milch, wie Meerschaum, befleckt von kastanienfarbenen Augen und Haaren und Lippen, ein kräftiger dicker Pinselstrich, mehr braun als rot.
Mit dreizehn waren sie glückliche kleine Mädchen, weil sie noch niemals zum Vergnügen ans Meer gefahren waren, noch dazu in einem Wagen, Dinge, die sie nie gesehen hatten.
Glückliche kleine Mädchen, weil es nie so gewesen war, dass eine nichts zu tun hatte und einen Ausflug machte.
Manchmal kamen sie bis Carloforte, auf dem Boot von Fischern, die mit Mariannas Vater befreundet waren, immer braungebrannte Riesen, mit breiten Schultern und dicken Armen, knorrig wie alte Eichen, die eine seltsame Sprache sprachen, immerzu fluchten, Marta sah sie lächeln und Wein auf dem angeschlagenen Boot trinken und dachte, dass so der Teufel sein müsse, von dem Großmutter Rosaria immer sprach: braun gebrannt und kräftig und lächelnd auf einem kleinen Boot, das sich ans Meer klammerte, und sie sagte sich, dass es eigentlich keinen Grund gab, allzu sehr Angst zu haben.
Sie hatte keine Angst mit dreizehn.
Sie hatte keine Angst wie jetzt, da sie mit dem Gedanken einschläft, dass es morgen noch immer genauso mühselig wäre, bis zum Abend zu kommen.
Sie hatte keine Angst vor Priester Aramu, vor seinen Reden über den geschwänzten Teufel, der die bösen Kinder quält, und die Trunkenbolde und die Frauen, die nie zu Hause sind, die Frauen, die arbeiten und den Mann allein lassen.
Sich lieben arbeiten reisen studieren: Worte des Teufels, vor allem für die Mädchen und die Frauen, brüllt Priester Aramu angewidert im Katechismusunterricht, das haarige Gesicht zu einer Fratze verzerrt.
Mit dreizehn starrt sie auf dem Boot der Fischer die Insel San Pietro an und denkt an jene Worte, an die nächtlichen Erzählungen von Tante Raimunda, Sünder ohne Frieden und Engel ohne Barmherzigkeit – und Frauen ohne Glauben und Schätze, die in Flammen aufgehen, und Kinder, die von Zigeunern geraubt werden, und ihre Freundinnen bespritzen sich schreiend lachend mit Wasser, sie verliert sich mit dreizehn mit offenem Mund zwischen roten Teufeln und Schlössern und Krokodilen und Indianern und John Wayne, und inzwischen wird die Insel größer und kommt näher vor ihren Augen, und niedrige weiße Häuser tauchen auf, verstreut in der Landschaft, das genuesische Dörfchen aus Gassen und Plätzen, Klippen, die es abschließen, stolz und in sein Schicksal ergeben, und Marta, die keine Angst hat vor Tante Raimunda vor Priester Aramu vor dem Schwanz des Bösen vor dem Gürtel der Mutter, Marta denkt, dass dieses im Meer verlorene Dörfchen ein
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