Der schwarze Schattenjaeger
Gedanken, dass es mich beobachtet haben könnte. War es wirklich ein Wolf? Wenn ja, dann ist er genau jetzt dort unten. Vielleicht ist er ja verletzt und braucht Hilfe? Vielleicht traut er sich nicht, sich zu zeigen und …
„Thalis?“, fragt Valom.
„Ah, entschuldige! Ich … ich glaube nur, dass hier ein Wolf ist“, sage ich ruhig.
„Ein Wolf?“ Valoms Stimmlage ändert sich mit einem Mal. Er klingt ernster und besorgt.
„Ja, er ist draußen im Wald, also am Waldrand. Bei dem Schneesturm … Er tut mir einfach leid. Vielleicht ist er ja krank oder verletzt.“
„Hast du eine Waffe?“
„Ich bin sicher hier, nur keine Sorge.“
„Wölfe sind gefährlich, besonders die Wölfe aus diesem Wald“, spricht er weiter.
„Glaubst du an die Legende?“, frage ich Valom. Ich bleibe am Fenster stehen und sehe hinaus auf den Schnee, in der Hoffnung, mehr von dem Wolf, als nur diesen Schatten, zu erkennen.
„Ja“, sagt er kurz.
„Das war eine dumme Frage, ich meine, du bist doch …“ Manchmal ist es wirklich besser, einfach den Mund zu halten. Valom lacht leise und ich höre, wie er ein paar Schritte geht.
„Meine Großmutter hat mir und meinen Geschwistern die Legende von Anfang an erzählt. Wie ein Märchen. Was für dich Schneewittchen oder Aschenputtel ist, ist für mich die Legende von …“ Valom stockt kurz, bevor er weiterspricht, „von … den Bären und Wölfen.“ Warum hat er gestockt? Sicherlich, weil es einen indianischen Namen für die Legende gibt und er mich nicht verunsichern wollte.
„Ich weiß nur, dass die Bären und Wölfe verfeindet sind, aber das ist ja nur eine Legende, ein Märchen halt. Oh …, ich, äh, ich meine, ich wollte dich und deine Kultur nicht beleidigen!“ Heute trete ich aber auch von einem ins andere Fettnäpfchen!
„Das hast du nicht. Soll ich dir die Legende erzählen?“
„Ja, gerne!“ Ich setze mich auf mein Bett und schlüpfe unter die Decke. Wenn ich schon diese Legende erzählt bekomme, dann doch von jemandem wie Valom.
Einst, vor vielen tausend Jahren, lebten die Wölfe und Bären in Eintracht. Der Wald war ihr Zuhause und sie schätzten sich. Es gab keinen Krieg unter ihnen, keine Missgunst, kein Leid. Doch in einer Vollmondnacht geriet einer der Bären mit einem der Wölfe in Streit. Sie kämpften miteinander bis aufs Blut, bis sie beide ihren Verletzungen erlagen. Die Wölfe waren erzürnt, als sie ihren Bruder vorfanden, und die Bären erschrocken über ihren Verlust. Fortan begegneten sich die Wölfe und die Bären als Feinde. Während die Wölfe es vorzogen, in den Wäldern zu leben, rastlos umherzustreifen auf der Jagd nach Blut und Beute, verbündeten sich die Bären mit den Menschen. Sie schenkten ihnen die Kraft ihrer Vorahnen und lehrten sie, diese zu nutzen. Die Wölfe waren erbost darüber und sehnten sich nach Rache. Durch dunkle Magie konnten sie ihre Körper in die eines Menschen verwandeln, doch ihr Verstand glich weiterhin dem einer wilden Bestie. Sie schlichen umher als Wolf, rissen Tiere und töteten Menschen nach Begehr. Sie waren keine Tiere mehr – nun empfanden sie Freude und Lust, wenn sie töteten. Die Bären hingegen beschützten seit jeher die Menschen, mit denen sie sich verbündet hatten. Sie schworen ihnen Treue und Geleit, wenn man nur ihre Geschichte bis zu den neuen Tagen weitererzählt, damit die Legende nicht in Vergessenheit gerät und die Menschen sich in Acht nehmen vor den Wölfen.
Diese Version der Legende hatte ich noch nie gehört. Die Geschichte, die ich kannte, war ähnlich und doch ganz anders. Aber konnte ich Valom dies sagen?
„Ich kenne eine Version, in der noch ein Mädchen vorkommt“, sage ich kleinlaut.
„Von dieser Version habe ich gehört“, antwortet Valom mir ruhig.
„Dass der Wolf und der Bär sich um sie gestritten haben und … ähm …“ Wie war das denn noch?
„Sie haben sich deswegen bekämpft. Und gehört es nicht auch mit zu der Legende, dass die Bären und Wölfe sich auch heute noch verwandeln können?“ Dagegen war Aschenputtel doch gar nichts! Irgendwo im Bookdelicious muss das Buch der Sagen und Legenden sein, darin werde ich gleich am Montag mal nachsehen!
„Ja, aber das hat mit unserer Legende nicht mehr sehr viel zu tun, es wurde ein wenig ausgeschmückt von einigen Städtern.“ Damit hat Valom wohl recht. Märchen erzählen sich natürlich besser, wenn es auch eine Liebesgeschichte gibt …
„Ich mag die Vorstellung, dass es eine Liebesgeschichte war,
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