Der schwarze Schattenjaeger
möchte ihr diese Freude nicht nehmen. Die Produzenten haben eine letzte Staffel mit zwanzig Folgen angekündigt und heute läuft erst die vierte Folge. Aber ob meine Mom noch alle Folgen sehen kann, weiß niemand. Die Suppe ist nur lauwarm, weswegen ich sie in der Mikrowelle erwärme. Nebenher koche ich mir einen Tee, etwas anderes kann ich sowieso nicht machen, bis Tante Abby mit Roger und Kimmy kommt. Sie wollen in zwei Stunden vorbeischauen und Kuchen mitbringen. Wie soll ich diesen Nachmittag nur überstehen?
Um kurz vor 14.00 Uhr klingelt es an der Haustür und Abby, Roger und Kimmy kommen herein. Eigentlich ist es so wie immer. Man begrüßt sich, man lacht viel und versucht die Tatsache, dass Mom eigentlich im Sterben liegt, so gut es geht zu verschleiern.
Und nun stehe ich hier mit meinem Teller Apfelkuchen in der Hand und beobachte Kimmy, die auf Moms Bett sitzt und sie fragend betrachtet. Ich sehe Mom an, wie schlecht es ihr geht, und dass sie am liebsten schlafen würde. Aber sie lächelt, als sie Kimmy ansieht, die sich mit ihren klebrigen Fingern den Schläuchen nähert, die unter der Bettdecke hervorlugen.
Abby und Roger erzählen derweil etwas über ihre Arbeit und das Café, während ich Kimmy genauestens im Blick habe. Ein Ruck an den Schläuchen und Sophie hätte gleich wieder viel Arbeit vor sich. Im schlimmsten Fall müsste der Schlauch im Krankenhaus neu gelegt werden und das würde bedeuten, Mom müsste transportiert werden. Oh nein! Also darf Kimmy nicht damit spielen!
„Was ist das?“, fragt die Kleine in ihrer kindlichen Naivität und vollkommen unverblümt.
„Damit esse und trinke ich“, antwortet Mom ihr. Ich sehe, wie Moms Augen leuchten und sie sich freut, Kimmy beobachten zu können. Diese zieht eine Schnute und scheint zu überlegen, bevor sie munter weiterplappert: „Isst du deswegen keinen Kuchen, weil der so groß ist und nicht durch den Strohhalm passt?“
„Aber Kimmy, das ist doch kein Strohhalm, das ist ein Schlauch“, sagt Abby, die ihren Kuchenteller beiseite stellt, die Gefahr „Kimmy zieht am Schlauch und es endet in einer Katastrophe“ erkannt hat und nach ihrer Tochter greift, um sie ein Stück weiter weg zu ziehen.
„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt …“, murmelt Abby und stößt einen leisen Seufzer aus.
„Schlauch?“, fragt Kimmy fasziniert.
„Genau, durch den Schlauch kommt das Essen“, erklärt Abby weiter.
„Kann man da auch Kuchen reinmachen?“ Abby und Roger lachen und selbst Mom muss schmunzeln. Ich hingegen finde die Situation nicht so angenehm. Aber sie kann ja nichts dafür. Kimberley ist noch so jung und hat natürlich viele Fragen. Es ist richtig und auch sehr wichtig, dass Kinder viele Fragen stellen, damit sie diese Welt verstehen und lernen.
„Nein, Kuchen passt da nicht rein, nur Flüssiges“, erklärt Abby weiter. Früher war meine Mom auch so zu mir. Sie erklärte mir die Welt und zeigte mir so wundervolle Dinge. Ich konnte mit ihr über alles reden. Das änderte sich aber schlagartig, als sie krank wurde. Hoffentlich muss Kimberley nie so etwas durchmachen!
„Wie Apfelsaft?“, fragt Kimmy weiter und macht dabei große Augen.
„So ungefähr …“, murmelt Abby verlegen, der die Fragen ihrer Tochter doch so langsam peinlich werden. Mom lacht leise und ich halte mich zurück. Es ist schön, sie so fröhlich zu erleben.
Eine weitere Woche ist vergangen. Ich habe jeden Abend aus dem Fenster gesehen, aber konnte nirgends mehr einen schwarzen Schatten entdecken. Anscheinend war der Wolf, oder was immer es für ein Tier gewesen sein mag, weitergezogen.
Heute bin ich für die erste Etage zuständig, in der sich eine Gruppe Teeny-Mädchen niedergelassen hat. Mädchen in diesem Alter kleiden sich oft sehr ähnlich, was mir ein Schmunzeln ins Gesicht malt. Figurbetonte Pullover, gerne mit längeren Ärmeln, eine schwarze, hautenge Jeans und braune Boots, die wie fünf Nummern zu groß aussehen. Dazu das passende Handy, auf dem wild herumgedrückt wird, während man kaugummikauend „boah, krass“ und „yolo“ gackert.
„Hey, Sandy“, sage ich, als ich Logans jüngere Schwester begrüße, die mit ihren Freundinnen an einem Tisch sitzt.
„Thalis. Du arbeitest heute also auch? Cool.“ Sandy lächelt mich an und schaut sofort zu ihren Freundinnen, die sich noch einmal die Karte greifen, als sie merken, dass ich ihre Bestellung aufnehmen möchte.
„Ja, samstags braucht Abby meistens Hilfe, heute ist aber nicht so viel
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