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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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der seine Brieftasche gezückt und die Rechnung vor sich liegen hat, und diese Themen in vertrautem Tonfall mit ihm bespreche, als hinge mein ganzes Leben davon ab.
    Ich habe unser geringes Einkommen bereits erwähnt. Sehen Sie sich einmal die unvernünftigste Annahme diesbezüglich an, die Annahme, in der uns die größte Ungerechtigkeit widerfährt! Ob es nun daran liegt, dass wir immer so viel Kleingeld in der rechten Hosentasche mit uns herumtragen oder so viele Halfpenny-Stücke in unseren Frackschößen, oder ob es einfach in der menschlichen Natur liegt (was ich nur ungern glauben möchte), aber was soll denn das immerwährende Märchen, dass Oberkellner steinreich sind? Wie ist bloß dieses Märchen in die Welt gesetzt worden? Wer hat das als Erster ausgestreut, und auf welchen Tatsachen beruht diese schamlose Aussage? Tritt vor, du Verleumder, und verweise die Öffentlichkeit auf das eine, das einzige Testament eines Kellners, das bei den Doctors’Commons 2 hinterlegt wurde und auf das sich dieses bösartige Gerücht stützt! Und doch wird dies so allgemein nachgeschwätzt – besonders von den Geizhälsen, die den Kellnern das wenigste Trinkgeld geben –, dass jegliches Leugnen fruchtlos ist; und wir müssen um unserer Glaubwürdigkeit willen den Kopf so hoch tragen, als gingen wir ins Geschäftsleben, wenn es doch viel wahrscheinlicher ist, dass wir auf dem Weg ins Armenhaus sind. Da war einmal ein Geizhals, der oft ins
Slamjam
kam, ehe der Schreiber dieser Zeilen jenes Etablissement verließ – es ging damals um die Frage, dass er seine Assistenten aus der eigenen Tasche zum Tee oder zu Abend verpflegen sollte –, und dieser Geizhals trieb den Hohn auf die bitterste Spitze. Er überstieg mit seinem Trinkgeld nie die schwindelerregende Höhe von Sixpence und blieb sogar meist noch knauserig erdgebunden einen Penny drunter, und dochstellte er den Schreiber dieser Zeilen als einen Besitzer von konsolidierten Staatspapieren im großen Stil dar, als Geldverleiher gegen Sicherheiten und als Großkapitalisten. Ich habe sagen hören, dass er sich anderen Gästen gegenüber des Langen und Breiten darüber ausließ, der Schreiber dieser Zeilen hätte Tausende von Pfund in Destillerien und Brauereien investiert. »Nun, Christopher«, pflegte er dann zu sagen (nachdem er nur einen winzigen Augenblick zuvor knurrend das geringstmögliche Trinkgeld gegeben hatte), »Sie halten wohl Ausschau nach einem Gasthaus, das Sie eröffnen können, was? Sie können wahrscheinlich keines finden, das zum Verkauf steht und in der Größe Ihren finanziellen Mitteln entspricht, was?« Diese Verleumdungen haben sich zu solch schwindelnden Abgründen der Falschheit entwickelt, dass der bestens bekannte und höchst geachtete Old Charles, der lange im
West Country Hotel
hervorragende Dienste leistete und von einigen für den Vater des Kellnerberufs gehalten wird, sich gezwungen sah, sich so viele Jahre in diese Abgründe zu stürzen, dass seine eigene Ehegattin (denn er hatte eine niemandem bekannte ältere Dame in dieser Eigenschaft) es glaubte! Und was war die Folge? Nachdem er auf den Schultern von sechs eigens ausgewählten Kellnern zu Grabe getragen wurde, wobei noch sechs weitere zur Ablösung bereitstanden und weitere sechs als Bahrtuchhalter verdingt waren, die alle im strömenden Regen im Gleichschritt gingen, wobei kein Auge trocken blieb und der Leichenzug nur von einem königlichen Trauerzug noch übertroffen wurde, hat man seinen Anrichteraum und seine Wohnung von oben bis unten nach seinem Vermögen durchkämmt und keines gefunden! Wie hätte man es auch finden können, wo es doch außer seiner letzten monatlichen Sammlung von Spazierstöcken, Regenschirmen undTaschentüchern (die zufällig noch nicht veräußert war, obwohl er sich sonst sein Leben lang jeden Monat sehr pünktlich dieser Sammlung entledigt hatte) kein Vermögen gab? So ungeheuer ist jedoch die Kraft dieser allgemeinen Verleumdung, dass Old Charles’ Witwe, die gegenwärtig Insassin des Armenhauses der Korkschneider in der Blue Anchor Road ist (wo man sie noch letzten Montag mit einer sauberen Haube auf einem Windsor-Lehnstuhl vor einer Tür sitzen sah), stündlich damit rechnet, dass die von ihrem John versteckten Reichtümer entdeckt werden! Doch nein, ehe er dem grausigen Pfeil des Todes erlag und auch ehe man sein lebensgroßes Porträt in Öl malte, das durch eine Sammlung bei den Stammgästen des
West Country
finanziert wurde und nun über dem

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