Der schwarze Schleier
geheiratet, denn wenn bekannt wurde, dass eine Kellnerin verheiratet war, würde das die besten Geschäfte in den Ruin treiben – das ist genauso wie auf der Bühne. Deswegen wurde er in die Speisekammer geschmuggelt, zudem – um die Sache noch schlimmer zu machen – von einer unwilligen Großmutter. Unter dem vereinten Einfluss der Aromen von Gebratenem und Gesottenem und Suppe und Gas und Malzwhisky nahm er seine erste Nahrung zu sich; seine Großmutter saß bereit, um ihn aufzufangen, sobald seine Mutter gerufen wurde und ihn prompt fallen ließ; und das Schultertuch seiner Großmutter war stets zur Hand, um seine natürlichen Klagelaute zu ersticken; sein unschuldiges Köpfchen war von ihm gänzlich wesensfremden Menagen, schmutzigen Tellern, Schüsseldeckeln und kalter Soße umgeben; seine Mutter rief über das Rohr nach Kalbfleisch und Schweinebraten, anstatt ihm Kinderreime vorzusingen. Unter diesen widrigen Umständen wurde er sehr schnell entwöhnt. Seine unwillige Großmutter, die zunehmend unwilliger wurde, als ihm sein Essen immer schlechter bekam, gewöhnte sich dann an, ihn so lange zu schütteln, bis sein ganzes Verdauungssystem sich förmlich verhedderte und ihm das Essen überhaupt nicht mehr bekam. Schließlich wurde sie dahingerafft, und sie hätte seinetwegen noch viel früher dahingerafft werden können. Als dann in rascher Folge seine Brüder auftauchten, gab seine Mutter ihren Beruf auf, gab ihre adrette Kleidung (bis dahin hatte sie sich sehr adrett gekleidet) und ihre dunklen Locken (die sich zuvor üppig gewellt hatten) auf und verfolgte seinen Vater bis spät in die Nacht, lauerte ihm in Wind und Wetter in dem schäbigen Hof auf, der zur Hintertür des
Alten Königlichen Mülleimers
führte (einem Lokal, dessen Nameangeblich von Georg IV. geprägt wurde), wo sein Vater Oberkellner war. Aber mit dem
Mülleimer
ging es damals bergab, und sein Vater nahm nur wenig ein – außer in flüssiger Form. Die Besuche seiner Mutter zielten in Richtung Hauswirtschaft, und der Junge wurde darauf angesetzt, seinen Vater herauszupfeifen. Manchmal kam er auch heraus, aber im Allgemeinen nicht. Ob er nun kam oder nicht, jedenfalls war alles in seinem Leben, das nicht unmittelbar mit der öffentlich bekannten Kellnerexistenz zu tun hatte, ein großes Geheimnis und wurde von seiner Mutter als großes Geheimnis akzeptiert, und er und seine Mutter huschten über den Hof, beide äußerst geheim, und er hätte nicht einmal unter Folter zugegeben, dass er seinen Vater kannte oder dass der auf einen anderen Namen als Dick hörte (was überhaupt nicht sein Name war, obwohl man ihn unter keinem anderen kannte) oder dass er überhaupt Familie oder Kind oder Kegel hatte. Vielleicht trug die Anziehungskraft dieses Geheimnisses – im Verein mit der Tatsache, dass sein Vater im
Mülleimer
hinter einem tropfenden Wasserbehälter einen feuchten Verschlag für sich allein hatte – eine Art Kellerraum mit einem Spülstein drin und einem modrigen Geruch und einem Tellerständer und einem Flaschenständer und drei Fenstern, die weder zueinander noch zu sonst etwas passten und kein Tageslicht hineinließen –, vielleicht trug all dies dazu bei, dass der Junge in seinem jungen Hirn die Überzeugung gewann, er müsste unbedingt auch einmal Kellner werden; doch er war davon überzeugt, und ebenso all seine Brüder bis hinunter zur Schwester. Alle waren sie davon überzeugt, zum Kellnern geboren zu sein. Was fühlte er da an diesem Punkt seiner Laufbahn, als sein Vater eines Tages am helllichten Tag zu seiner Mutter heimkam – an sich für einen Kellner schon eine Wahnsinnstat – und sich in sein Bett legte (beziehungsweiseins Familienbett) und äußerte, seine Augen seien scharf gewürzte Hammelnieren? Kein Arzt hatte Erfolg, und sein Vater hauchte sein Leben aus, nachdem er in regelmäßigen Abständen einen Tag und eine Nacht lang, wenn ein kurzes Aufblitzen des Verstandes und seiner alten Gewohnheiten ihn erhellte, wiederholt hatte: »Zwei und zwei ist fünf und drei macht Sixpence.« Beerdigt wurde er auf dem Armenteil des benachbarten Friedhofs, zu Grabe getragen von so vielen altgedienten Kellnern, die es sich leisten konnten, den Morgen über von ihren schmutzigen Gläsern freizunehmen (nämlich einem), und man zierte die Trauergestalt seines Sohnes mit einem weißen Halstuch, und derselbe wurde dann aus Gründen der Mildtätigkeit im
The George and Gridiron,
einem Restaurant für Speisen vor und nach dem Theater,
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