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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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auf der Surrey-Seite 13 der Themse vertraut, der »Der Obelisk« 14 oder allgemeiner »Das Hindernis« genannt wird. Wer London nicht kennt, ist nun, da ich den Ort erwähnt habe, jetzt auch damit vertraut. Meine Unterkunft befindet sich nicht weit von diesem Ort entfernt. Ich bin ein junger Mann von so unkomplizierter Natur, dass ich gern im Bett liegen bleibe, bis es absolut notwendig wird, aufzustehen undGeld zu verdienen, und dann wieder im Bett liege, bis alles ausgegeben ist.
    Bei einem dieser Anlässe, als ich mich dem Broterwerb widmen musste, ging ich eines Abends nach Einbruch der Dunkelheit die Waterloo Road entlang, begleitet von einem Bekannten und Mitmieter, der seines Zeichens Gasinstallateur ist. Er ist eine sehr angenehme Gesellschaft, da er im Theater arbeitet, und er hat wirklich auch eine theatralische Ader und möchte zu gern als Othello auftreten; ob das daran liegt, dass bei seiner Arbeit Gesicht und Hände stets mehr oder weniger schwarz werden, kann ich nicht sagen.
    »Tom«, meinte der, »was für ein Geheimnis hängt über dir!«
    »Ja, Mr. Click«, antwortete ich – wir anderen im Haus reden ihn allgemein mit diesem Namen an, denn er wohnt im ersten Stock, nach vorn heraus, mit Teppich von Wand zu Wand, mit seinen eigenen Möbeln, wenn nicht aus Mahagoni, so doch eine täuschend echte Imitation –, »ja, Mr. Click, es hängt wirklich ein Geheimnis über mir.«
    »Es zieht dich runter, verstehst du, nicht wahr«, antwortete er mir und schaute mich von der Seite an.
    »Na ja, Mr. Click, es sind Umstände damit verbunden, die wirklich« – und hier entrang sich mir unwillkürlich ein Seufzer – »eine niederdrückende Wirkung haben.«
    »Es gibt dir auch ein bisschen was Menschenverachtendes, wie?«, meinte er. »Nun, ich will dir was sagen. Wenn ich du wäre, dann würde ich das rasch abschütteln.«
    »Wenn ich Sie wäre, dann würde ich das auch machen, Mr. Click, aber wenn Sie ich wären, würden Sie es nicht machen.«
    »Ah!«, antwortete er. »Da könnte was dran sein.«
    Als wir ein Stückchen weitergegangen waren, nahm er das Thema wieder auf und tippte mir an die Brust.
    »Weißt du, Tom, mir scheint, als hättest du da drin das, was man in den Worten des Dichters, der die häusliche Tragödie ›Der Fremde‹ 15 verfasst hat, einen stummen Kummer nennt.«
    »Das habe ich wirklich, Mr. Click.«
    »Ich hoffe doch, Tom«, sprach er mit freundschaftlich leiser Stimme, »dass es nichts mit Geld oder irgendeinem Unfall zu tun hat?«
    »Nein, Mr. Click. Machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Oder gar mit Fäl …«, hier gebot sich Mr. Click Einhalt und fügte hinzu: »Auch nicht damit, dass du zum Beispiel irgendwas nachmachst?«
    »Nein, Mr. Click. Ich betätige mich ganz gesetzestreu im Kunstgeschäft – im bildenden Kunstgeschäft –, aber mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    »Ah! stehst du unter einem unguten Stern oder irgendeinem anderen? Unter so was wie einem bösartigen Zauber? Einer Art finsterem Schicksal? Insgeheim nagt wohl ein elender Wurm an deinem Herzen, soweit ich das sehen kann«, forschte Mr. Click nach und beäugte mich mit einiger Bewunderung.
    Ich erklärte Mr. Click, das wäre es in etwa, wenn wir schon in die Einzelheiten gingen, und ich glaube, er schien ziemlich stolz auf mich zu sein.
    Unser Gespräch hatte uns einer Menschenmenge näher gebracht, deren größter Teil sich vordrängelte, um einen guten Platz in der ersten Reihe zu bekommen und irgendetwas auf dem Bürgersteig zu sehen, was sich als verschiedene, mit bunter Kreide ausgeführte Zeichnungen auf denPflastersteinen herausstellte, erhellt durch zwei Kerzen, die in aus Dreck geformten Haltern steckten. Die Themen umfassten einen schönen frischen Lachskopf, der angeblich gerade eben vom Fischhändler nach Hause geschickt worden war, eine mondhelle Nacht auf See (in einem Kreis), totes Wild, schnörkelige Dekorationsmotive, den Kopf eines altersgrauen Eremiten in andachtsvollem Gebet, den Kopf eines Pfeife rauchenden Vorstehhundes und einen Cherubim, dessen Fleisch die plumpen Falten des Säuglingsalters zeigte und der sich auf einem Botenflug gegen einen horizontal wehenden Wind bewegte. All diese Themen schienen mir hervorragend ausgeführt.
    Auf den Knien an einer Seite dieser Galerie war eine schäbig gekleidete Person von bescheidenem Auftreten, die furchtbar zitterte (obwohl es überhaupt nicht kalt war), damit beschäftigt, den Kreidestaub vom Mond zu pusten, den Umriss des Eremitenhinterkopfs

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