Der schwarze Schleier
feierlich den Hut ab und hob ein Ende der Plane hoch, »denn sein Gesicht ist sehr gefasst.«
»Oh, wie ist das geschehen? Wie ist das geschehen?«, fragte ich und wandte mich von einem zum anderen, nachdem man die Plane wieder gesenkt hatte.
»Er wurde von einer Lokomotive erfasst, Sir. Keiner in England beherrschte seine Arbeit besser. Aber irgendwie war er noch auf den Gleisen. Es war gerade heller Tag geworden. Er hatte das Licht angezündet und stand mit der Laterne in der Hand da. Als die Lokomotive aus dem Tunnel kam, stand er mit dem Rücken zu ihr, und sie hat ihn erfasst. Der Mann dort drüben war der Lokomotivführer und hat uns gezeigt, wie es geschehen ist. Zeig es dem Herrn, Tom.«
Der Mann, der raue, dunkle Kleidung trug, ging zu seinem vormaligen Platz am Eingang des Tunnels zurück.
»Ich kam im Tunnel gerade um die Kurve, Sir«, sagte er, »und sah ihn am Ausgang stehen, wie durch ein Vexierglas. Es war keine Zeit mehr, die Geschwindigkeit zu drosseln, und ich wusste ja, wie vorsichtig er war. Da er mein Pfeifen nicht zu beachten schien, sperrte ich den Dampf ab, als wir auf ihn zurasten, und schrie ihm zu, so laut ich konnte.«
»Was haben Sie gerufen?«
»Ich habe geschrien: ›Da unten! Achtung! Achtung! Um Gottes willen aus dem Weg!‹«
Ich fuhr zusammen.
»Ah, es war schrecklich, Sir! Ich habe nicht aufgehört, das zu rufen. Ich habe mir den Arm vor die Augen gehalten, weil ich es nicht mit ansehen konnte, und ich habe bis zuletzt mit dem anderen Arm gewinkt; aber es hat nichts genutzt.«
Ohne meine Erzählung unnötig dadurch in die Länge zu ziehen, dass ich mich einem der seltsamen Umstände mehr widme als den anderen, möchte ich doch zum Ende auf den seltsamen Umstand hinweisen, dass die Warnung des Lokomotivführers nicht nur die Worte enthalten hatte, von denen mir der unglückselige Signalwächter berichtet hatte, dass sie ihn heimsuchten, sondern auch die Worte, die ich selbst – nicht er – nur in Gedanken der von ihm nachgeahmten Geste zugeordnet hatte.
Erstmals erschienen 1866 in »Mugby Junction«, der Weihnachtsausgabe von »All the Year Round«.
Die sieben armen Reisenden
Kapitel 1
In der alten Stadt Rochester
Genau genommen waren es nur sechs arme Reisende; aber da ich ebenfalls ein Reisender bin, wenn ich mich auch zur Ruhe gesetzt habe, und da ich so arm bin, dass ich nur hoffen kann, nicht ärmer zu werden, habe ich die Zahl auf sieben erhöht. Dieses Wort der Erklärung ist unbedingt notwendig, denn wie steht auf dem Schild über der zierlichen alten Tür?
RICHARD WATTS, Esquire
hat mit Testament vom 22. Aug. 1579
diese Wohltätige Einrichtung
für sechs arme Reisende gegründet,
die, wenn sie keine Schurken oder Verwalter sind,
hier gratis eine Nacht
Logis und gastliche Aufnahme
und Fourpence pro Kopf bekommen sollen.
Es war in dem uralten Städtchen Rochester in Kent, von allen Tagen im Jahr ausgerechnet an einem Heiligabend, als ich da stand und die Inschrift über der besagten zierlichen alten Tür las. Ich war in der benachbarten Kathedrale herumspaziert und hatte mir das Grabmal von Richard Watts angeschaut, aus dem das Bildnis des werten Herrn Richard wie eine Gallionsfigur an einem Schiff herausragte, und hatte das Gefühl, dass ich mich, nachdem ich dem Kirchendiener sein Scherflein gegeben hatte, unbedingt nachWatts’ Wohltätiger Einrichtung erkundigen musste. Da der Weg dorthin sehr kurz und sehr einfach war, war ich auch glücklich bis zu der Inschrift und der zierlichen alten Tür gelangt.
Nun, sagte ich mir, während ich auf den Türklopfer blickte, weiß ich ja, dass ich kein Verwalter bin; ich frage mich, ob ich ein Schurke bin!
Obwohl mein Gewissen mir ein, zwei hübsche Gesichter vor Augen führte, für deren Reize ein moralischer Goliath weniger empfänglich gewesen wäre, als ich es gewesen war, der ich in dieser Hinsicht nur ein Däumling bin, kam ich doch insgesamt zu dem Schluss, kein Schurke zu sein. Also begann ich diese Einrichtung irgendwie auch als mein Eigentum anzusehen, das mir und verschiedenen Miterben zu gleichen Teilen von dem ehrwürdigen Herrn Richard Watts hinterlassen worden war, und trat einen Schritt auf die Straße zurück, um mein Erbe zu begutachten.
Ich stellte fest, dass es ein ordentliches weißes Haus von gesetztem und ehrwürdigem Aussehen war, mit der hier bereits dreimal erwähnten zierlichen alten Tür (in einem Türbogen), sehr hübschen kleinen, niedrigen Sprossenfenstern und einem Dach
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