Der schwarze Schleier
mit drei Giebeln. Die ruhige High Street von Rochester ist voll solcher Giebel, mit alten Balken und Querbalken, in die seltsame Gesichter geschnitzt sind. Sie wird merkwürdig von einer seltsamen alten Uhr geziert, die aus einem würdevollen Gebäude aus roten Backsteinen über den Gehsteig herausragt, als hätte die Zeit selbst hier ihre Geschäftsräume und hätte ihr Schild herausgehängt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, die Zeit hat hier in Rochester wirklich ein gutes Stück Arbeit geleistet, damals in den Tagen der Römer und der Sachsen und der Normannen und bis in die Zeit von König Johann hinein, als die raue Burg – ich werde gar nicht erstversuchen, zu erklären, wie viele Hunderte von Jahren sie damals alt war – verlassen und Jahrhunderte lang Wind und Wetter ausgesetzt war, die so an den dunklen Öffnungen in ihren Mauern genagt haben, dass die Ruine aussieht, als hätten ihr die Krähen und Dohlen die Augen ausgepickt.
Ich war sehr angetan, sowohl von meinem Eigentum als auch von seiner Lage. Während ich es mit wachsender Zufriedenheit musterte, erspähte ich an einem der oberen Sprossenfenster, das offen stand, eine ehrbare Gestalt von adretter und matronenhafter Erscheinung, deren Blick fragend auf mich gerichtet war. Sie erkundigte sich so schlicht: »Möchten Sie das Haus sehen?«, dass ich laut »Ja, bitte gern« antwortete. Und es war noch kaum eine Minute vergangen, als schon die Tür aufging und ich den Kopf einzog und zwei Stufen zum Eingang hinunterging.
»Hier«, sagte die matronenhafte Gestalt und führte mich in einen niedrigen Raum rechter Hand, »sitzen die Reisenden beim Kamin und kochen sich, was sie mit ihren Fourpence zum Abendessen kaufen.«
»Oh! Dann bekommen sie keine Bewirtung?«, fragte ich. Denn mir ging die Inschrift über der Tür durch den Kopf, und ich wiederholte sie im Stillen noch einmal wie eine Melodie: »Unterkunft und gastliche Aufnahme und Fourpence pro Kopf.«
»Sie haben ja das Kaminfeuer«, erwiderte die Matrone, eine außerordentlich höfliche Frau, die, soweit ich das sehen konnte, nicht gerade übermäßig gut bezahlt wurde, »und diese Kochgerätschaften. Und das, was da auf dem Schild geschrieben steht, das sind die Regeln für ihr Verhalten hier. Sie bekommen ihre Fourpence, wenn sie sich beim Verwalter auf der anderen Straßenseite ihre Einlasskarte geholt haben – denn ich lasse sie nicht selbst ein, siemüssen erst ihre Einlasskarte holen –, und manchmal kauft sich einer ein Stück Speck und ein anderer einen Hering und ein anderer ein Pfund Kartoffeln oder was auch immer. Manchmal legen auch zwei oder drei von ihnen ihre Fourpence zusammen und machen sich so ihr Abendessen, wo doch im Augenblick die Lebensmittel so teuer sind.«
»Das stimmt wirklich«, sagte ich. Ich hatte mich im Zimmer umgesehen und bewunderte den gemütlichen Kamin am anderen Ende, von wo man aus dem niedrigen Fenster mit den Steinpfosten einen Blick auf die Straße erhaschen konnte, und die Balkendecke. »Das ist alles sehr angenehm«, sagte ich.
»Unbequem«, erwiderte die matronenhafte Gestalt.
Das hörte ich gern, denn es zeigte ein lobenswertes Bemühen, die Absichten von Master Richard Watts nicht gerade geizig auszulegen. Aber der Raum war wirklich für seine Zwecke so gut ausgestattet, dass ich ihrer abschätzigen Bemerkung recht begeistert widersprach.
»Nein, Madam«, sagte ich, »ich bin sicher, es ist im Winter warm und im Sommer kühl. Es wirkt gemütlich und einladend, ein wohltuender Ort zum Ausruhen. Es hat einen bemerkenswert schönen Kamin, dessen Schein, wenn er an einem Winterabend auf die Straße fällt, ganz Rochester das Herz erwärmen könnte. Und was die Bequemlichkeit der sechs armen Reisenden angeht …«
»Ich meinte doch nicht die«, erwiderte die matronenhafte Gestalt. »Ich rede von der Unbequemlichkeit für mich und meine Tochter, die wir abends kein anderes Zimmer haben, wo wir sitzen können.«
Das stimmte allerdings, aber es gab noch ein feines Zimmer von ähnlicher Größe auf der anderen Seite des Eingangs. Also trat ich hinüber und fragte durch die geöffneten Türen beider Räume, wofür denn dieser genutzt wurde.
»Das«, antwortete die Matrone, »ist das Besprechungszimmer. Wo sich die Herren zusammensetzen, wenn sie herkommen.«
Also, ich hatte von der Straße außer denen im Erdgeschoss noch sechs Fenster im Obergeschoss gezählt. Nachdem ich im Kopf eine erstaunte Berechnung angestellt hatte, erwiderte ich: »Also
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