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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Unteroffizier begangen wurden, der sich allein durch eine dichte Menschenmenge kämpfte, die Fahne des Regiments zurückeroberte, die man den Händen eines armen, ins Herz getroffenen Jungen entrissen hatte, und seinen verwundeten Hauptmann rettete, der in einem wahren Dschungel aus Pferdehufen und Säbeln zu Boden gegangen war – solche Wundertaten, sage ich, die von diesem tapferen Ersten Unteroffizier begangen wurden, dass man ihn dafür zum Träger jener Regimentsfahne berief, die er zurückerobert hatte; und Fähnrich Richard Doubledick hatte von der Pike auf gedient. Dieses Regiment, in jeder Schlacht heftig mitgenommen, aber immer mit den tapfersten Männern verstärkt – denn der Ruhm, dass man der alten, von unzähligen Schüssen durchlöcherten Regimentsfahne folgen durfte, die Fähnrich Richard Doubledick gerettet hatte, beflügelte alle –, kämpfte sich durch den Spanischen Krieg bis zur Belagerung von Badajoz im Jahre 1812. Immer und immer wieder hatte man ihm in allen britischen Rängen zugejubelt, bis den Männern beim bloßen Klang der donnernden britischen Stimme, die ihr Lob so laut erschallen ließ, die Tränen in die Augen traten; und es gab keinen Trommlerjungen, der nicht die Legende kannte, dass, wohin immer die beiden Freunde gingen, Major Taunton mit den strahlenden dunklen Augen und Fähnrich Richard Doubledick, der ihm treu ergeben war, ihnen die Tapfersten der englischen Armee wild entschlossen folgten.
    Eines Tages in Badajoz – nicht beim großen Sturm, sondern bei der Abwehr eines wütenden Ausfalls der Belagertenauf unsere Männer, die in den Gräben arbeiteten, die nicht standgehalten hatten – preschten die beiden Offiziere gemeinsam, Auge in Auge mit dem Feind, gegen eine Gruppe französischer Infanterie vor, die erbitterten Widerstand leistete. Die Franzosen wurden von einem Offizier angeführt, der sie ermunternd antrieb – ein mutiger, attraktiver, stattlicher Offizier von fünfunddreißig, den Doubledick flüchtig erblickte, beinahe nur einen Moment, den er aber gut sah. Er bemerkte besonders, wie dieser Offizier das Schwert schwenkte und seine Männer mit einem schneidenden und erregten Ruf anfeuerte, als sie seinem Befehl Folge leisteten und schossen und Major Taunton zu Boden fiel.
    Nach weiteren zehn Minuten war alles vorüber, und Doubledick kehrte an die Stelle zurück, wo er den besten Freund, den je ein Mensch hatte, auf einem Mantel auf den nassen Lehm gebettet hatte. Major Tauntons Uniform war an der Brust geöffnet, und auf seinem Hemd sah man drei kleine Blutstropfen.
    »Lieber Doubledick«, sagte er. »Ich sterbe.«
    »Um des lieben Himmels willen, nein!«, rief da der andere, kniete sich neben ihn hin und legte ihm den Arm um den Hals, um den Kopf anzuheben. »Taunton! Mein Retter, mein Schutzengel, mein Zeuge! Liebster, treuester und freundlichster unter den Menschen! Taunton! Um Gottes willen!«
    Die strahlenden dunklen Augen – nun in dem bleichen Antlitz so sehr, sehr dunkel – lächelten ihn an, und die Hand, die er dreizehn Jahre zuvor geküsst hatte, legte sich ihm nun freundlich auf die Brust.
    »Schreiben Sie meiner Mutter. Sie werden Ihre Heimat wiedersehen. Sagen Sie ihr, wie wir Freunde geworden sind. Es wird sie trösten, so wie es mich tröstet.«
    Er sprach nicht mehr, deutete nur matt auf sein Haar, das im Wind flatterte. Der Fähnrich verstand ihn. Er lächelte wieder, als er das sah, und, indem er sanft sein Gesicht zu dem stützenden Arm drehte, als wollte er sich zur Ruhe betten, starb er, die Hand noch auf die Brust gelegt, in der er die Seele wiedererweckt hatte.
    Kein Auge blieb an jenem tieftraurigen Tag beim Anblick von Fähnrich Richard Doubledick trocken. Er begrub seinen Freund auf dem Feld und wurde ein einsamer, trauernder Mann. Jenseits seiner Pflichten schien er nur noch zwei Sorgen im Leben zu haben – die eine, das kleine Päckchen mit Haar sorgfältig zu bewahren, das er Tauntons Mutter geben sollte; die andere, den französischen Offizier zu treffen, der die Männer angetrieben hatte, in deren Feuer Taunton gefallen war. Nun begann eine neue Legende bei unseren Truppen die Runde zu machen; und die besagte, wenn er und der französische Offizier einander das nächste Mal Auge in Auge gegenüberstünden, würde es Wehklagen in Frankreich geben.
    Der Krieg ging weiter – und währenddessen blieb stets das genaue Bild des französischen Offiziers auf der einen Seite und seine körperliche Wirklichkeit auf der anderen –,

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