Der schwarze Thron - Reiter reiter3
dergleichen, jedenfalls bis jetzt nicht …
Bis sie die erste Brücke sah. Es war eine ganz normale Brücke aus ungleich großen, gehauenen Steinen, und sie überspannte nichts, keinen Fluss, keinen Abgrund. Es war, als hätte ein Riese sie aus der wirklichen Welt herausgeholt und hier auf die weiße Ebene gestellt. Welchen Sinn hatte eine Brücke, fragte sie sich, die nichts überquerte? Sie ging zu ihr hinüber und wollte sie näher untersuchen, aber der Hengst schob sich vor sie und versperrte ihr den Weg.
»Ich will sie mir nur ansehen«, sagte Karigan.
Der Hengst legte die Ohren zurück.
»Aber …«
Er scharrte mit den Hufen auf dem Boden, und eine weiße Staubwolke stieg auf. Dann schob er sie mit der Schulter von der Brücke weg, wie er es mit einer seiner Stuten getan hätte, wenn auch vielleicht etwas sanfter. Sie schauderte, als sie die Macht spürte, die direkt unter der Oberfläche lag – und das war keineswegs nur die körperliche Kraft der Muskeln und Sehnen.
»Schon gut«, sagte sie, »ich lasse es.«
Sie folgte dem Hengst von der Brücke weg und warf einen Blick zurück. Sie fragte sich, warum der Hengst nicht wollte, dass sie der Brücke nahe kam. Natürlich hatte sie auch so schon genügend Probleme, und deshalb bestand sie nicht darauf, aber trotzdem konnte sie nicht umhin, darüber nachzugrübeln, wer die Brücke wohl gebaut haben mochte und zu welchem Zweck. Vielleicht war sie nur eine Illusion.
Die zweite Brücke, zu der sie kamen, war geborsten. Diesmal hinderte der Hengst sie nicht daran, hinzugehen. Der Brückenbogen war zerfallen, und in den Rändern klafften Lücken. Ein Durcheinander von Steinblöcken bedeckte den Boden. Sie stand neben einer Lücke und überlegte, warum der Brückenbogen wohl eingestürzt war. Hatte man ihn nicht instand gehalten? Lag es am Wetter?
Wetter? Was für Wetter? So viel sie wusste, änderte sich hier nie etwas. Dann entdeckte sie schwarze Male auf den Steinen der Brücke, als hätte irgendeine ungeheure Kraft sie versengt. Wie schade, dass der Hengst nicht sprechen und ihr erklären konnte, was es mit der Ruine auf sich hatte! Sie konnte nur in ihrer Fantasie nach Antworten suchen.
Sie ließ die geborstene Brücke hinter sich und folgte dem Hengst auf dem Weg auf den ständig weiter zurückweichenden Horizont zu.
Genau wie in einer unterirdischen Welt ohne Sonnenlicht, in der man ebenfalls jeden Sinn für die vergehende Zeit verlor, konnte Karigan auch jetzt nicht feststellen, wie lange sie dem Hengst schon gefolgt war. Sie wusste nur, dass sie erschöpft und durstig war und dass ihr Kopf wieder vor Schmerzen pochte. Nichts änderte sich in der Landschaft und am Himmel, und es gab auch keine Brücken mehr, nur dieselbe weiße Decke.
Als sie genug hatte, ließ sie sich zu Boden fallen und schloss die Augen. Sie versuchte, sich andere Farben ins Gedächtnis zu rufen und den Geruch des Waldes nach dem Regen. Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, wie müde und durstig sie war, oder daran, wie das Essen immer geschmeckt hatte. Sie berührte ihren Kopfverband und fühlte den Schmerz und das Pochen der Wunde. Zumindest waren diese Dinge wirklich.
Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass die samtenen Nüstern des Hengstes nur wenige Zentimeter über ihrer eigenen Nase schwebten. Er blies ihr einen süßen Atemzug ins Gesicht, und sie fühlte sich neu belebt, hatte keinen Durst mehr und war nicht länger erschöpft. Sie sah ihn verblüfft an, doch dann fiel ihr wieder ein, was er war, und sie vermutete, dass er sogar noch erstaunlichere Fähigkeiten besaß. Auf jeden Fall war sie ihm dankbar für sein Geschenk.
Sie stand auf, um die Reise fortzusetzen, aber dann nahm sie knapp am Rande ihres Blickfeldes etwas wahr. In der Ferne stand eine Gestalt und beobachtete sie. Sie konnte fast keine Einzelheiten erkennen, nur ein Schwert und einen Köcher, den sie auf dem Rücken trug, und das Schimmern einer Rüstung. Sie machte einen Schritt in ihre Richtung, aber sie drehte sich um und ging fort, löste sich in der Weiße auf. Karigan dachte, dass die weiße Welt ihr einen Streich gespielt hatte, und fragte sich, was wohl noch alles kommen würde.
Als sie und der Hengst sich wieder auf den Weg gemacht hatten, fand sie es bald heraus. Die Horizontlinie zwischen Land und Himmel verschwamm, und ein undurchdringlicher Nebel fiel um sie herab. Sie hielt sich dicht an den Hengst und streckte fast die Hand aus, um ihn zu berühren, damit sie ihn nicht
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