Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
Vielfaches härter als der der Sklavenaufseherin. Als Thorirs Aufmerksamkeit einen Moment nachließ, weil es ihm mit nur einer Hand nicht leichtfiel, den Gürtel zu lösen, reckte sie sich und biss in seine Finger, die ihr Handgelenk umklammerten. So fest sie konnte.
Aufbrüllend stieß er sie von sich. Caitlín wischte sich über den Mund, spuckte vor ihm aus. Dann sprang sie behände hinter einen aufgestapelten Berg aus Körben, riss einige herunter, sodass sie vor Thorirs Füße rollten, und duckte sich.
Und spielte das f é th-f í ada-Spiel. Lieber Gott, lass ihn fort sein, wenn ich wieder hinsehe.
Schritte näherten sich. Caitlín konnte nicht anders, als wieder die Lider zu heben. Drohend und groß wie der Dämonenkönig Balor aus den Geschichten, die ihre Mutter am Feuer erzählt hatte, ragte Thorir über ihr auf. Der Gürtel pendelte in seiner Hand, dann riss er ihn mit einem Mal hoch.
»Schlag zu, Bruder, und deinen Rücken wird ein Pfeil treffen«, erhob sich eine Stimme über die lähmende Stille, die sich auf das Dorf gelegt hatte. Eine allzu bekannte Stimme, hart und rau wie die See.
Er war es. Er lebte.
Großer Gott, er lebte! Caitlín schnellte hoch, wollte an Thorir vorbeispringen. Doch der fasste grob in ihr Haar und hielt sie fest. Langsam schritt er über den Platz, wobei er sie wie zu seinem Schutz vor sich herschob.
Dort stand Njal – ihr Herz schlug heftig vor grenzenloser Erleichterung. Nun war ihr alles gleich: Thorir, ihre Blöße, die Blicke der Fremden. All das zählte nicht mehr. Nur noch Njal war wichtig. Dass er nur zehn Schritte von ihr entfernt stand und sie mit einer Mischung aus Sorge und Zuneigung ansah.
Der Augenblick währte nur kurz, dann bohrte sich sein Blick aus stahlblauen Augen über ihren Kopf hinweg in den seines Bruders.
»Lass sie los. Sie gehört mir.«
»Nichts gehört dir, gar nichts«, fauchte Thorir. »Und wie ein Habenichts siehst du auch aus. Geh mir aus den Augen.«
In der Tat war Njal schlimm zugerichtet. Seine Beinkleider waren zerfetzt und vom getrockneten Salzwasser erstarrt. Ein Hemd trug er nicht; stattdessen einen Filzumhang, der aussah, als habe sich jahrzehntelang das Ungeziefer darin angesammelt. Seine Haut war zerschunden, übersät mit Kratzern und Blutergüssen, als habe ihn das Meer immer wieder gegen eine schrundige Felswand geworfen. Seine Nägel waren blutunterlaufen. Vor Caitlíns innerem Auge erschien unwillkürlich das Bild, wie er sich an das Felsgestein geklammert hatte, um nicht wieder von der Urgewalt der Wellen aufs Meer hinausgezerrt zu werden. Wie er sich Handbreit um Handbreit ans rettende Land gezogen hatte, ihren Namen auf den Lippen …
Und von irgendwo, vielleicht sogar erst während seiner letzten Schritte über den Dorfplatz, hatte er sich Umhang und Bogen beschafft. Den Bogen hielt er gespannt; die eiserne Spitze zielte über ihren Kopf hinweg auf Thorir. Seine Armmuskeln zitterten vor Schwäche. Ja, schieß doch, schieß noch einmal zwischen meine Beine!, dachte Caitlín wild.
Doch Thorir tat ihr nicht den Gefallen, sie hochzureißen, wie es Éamonn getan hatte. »Du bist ein Feigling, Njal. Du wirst nicht schießen. Du hast nicht das Herz dazu.«
Flüchtig glitt Njals Blick seitwärts. »Guten Tag, Mutter«, sagte er. »Gibt es keinen Willkommensgruß für einen heimgekehrten Sohn?«
Álfdis war aus dem Langhaus getreten. Nicht die kleinste Regung zeigte sich auf ihrem Gesicht.
»Njal«, sagte sie, so kalt wie ruhig. »Also bist du doch am Leben.«
Caitlín riss den Kopf nach vorn, und ihre Haare entglitten Thorirs Griff. Sie rannte zu Njal und wirbelte herum, um an seiner Seite seinem Feind ins Angesicht zu schauen.
»Was ist das nur für eine schreckliche Familie«, raunte sie ihm zu. Sein Umhang roch fürchterlich.
»Ich hatte dich gewarnt, mich zu begleiten«, erinnerte er sie ebenso leise.
Thorir stand ihnen mit hängenden Armen gegenüber. Sein Blick schien Caitlín töten zu wollen. »Wozu jetzt noch der Bogen, Bruder?«, rief er verächtlich.
»Um mich zu rächen«, erwiderte Njal so leise, dass nur Caitlín es hören konnte, und ließ langsam die Waffe sinken. Aus Müdigkeit und Erschöpfung, so schien es ihr, weniger aus Vernunft. Doch als sich etwas unter all den erstarrten Menschen tat, ruckte die Pfeilspitze wieder eine Handbreit nach oben. Der lockenköpfige Barde erschien auf der Eingangsschwelle des Langhauses.
»Njal Eiriksson, ich grüße Euch«, rief er so heiter, als sei ihm das
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