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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Waters
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und nach Jötunheimr, ins Reich der Riesen – so stellt es sich ein Nordmann jedenfalls vor. Es soll eine Esche sein, so sagt man …«
    »Ich weiß!«, unterbrach sie ihn.
    »Jedenfalls nennen die Thrymheimer die große Esche dort vor dem Wall ebenfalls Yggdrasil. Das Thing ist eine Ratsversammlung, bei der Recht gesprochen wird.«
    »Recht … gesprochen?«, echote sie.
    »Njal hat die Versammlung einberufen, um Thorir des Mordversuchs anzuklagen.«
    Heilige Brigida!
    Sie eilte an ihm vorbei in Richtung des Ausgangs.
    »Herrin Caitlín, wollt Ihr etwa dorthin? Aber das könnt Ihr nicht!«
    »Doch, natürlich kann ich das. Der Herse hat mich gefragt …« Noch während sie sprach, begriff sie, weshalb Eirik ihr hier die Frage gestellt hatte und nicht dort draußen unter der Esche. Sie blieb stehen und wandte sich zu Patrick um. »Eine Sklavin hat dort nichts zu suchen, nicht wahr?«
    »Weder Sklaven noch Frauen noch Kinder. Wenn der Herse Euch nach Eurer Meinung gefragt hat, dann war das schon ein gewaltiges Zugeständnis.«
    Es war zu spät. Sie hatte das verhängnisvolle Nein längst ausgesprochen, und sämtliche Versuche, ihre Aussage richtigzustellen, würden scheitern. Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
    »Herrin Caitlín«, murmelte Patrick betreten. Er konnte nicht lassen, sie so anzureden, obwohl sie längst keine Herrin mehr war. »Was immer Ihr gesagt oder nicht gesagt habt, einen großen Unterschied wird es nun auch nicht mehr machen.«
    Sie raffte ihr Kleid, stieg die schmale Treppe zum Gemach des Hersen hinauf und öffnete den Fensterladen. Die Esche war von hier aus gut zu sehen, und tatsächlich schienen sich alle freien Männer um den Baum versammelt zu haben. Als der Herse mit seinen Söhnen heranritt, bildeten sie eine Gasse. Das alles konnte Caitlín ohne Schwierigkeiten erkennen, doch um ihre Mienen zu deuten oder gar ihre Worte zu verstehen, waren sie viel zu weit entfernt. Auf der Brustwehr der Dorfpalisade hatten sich die aufgeregt schnatternden Frauen versammelt, während Álfdis ein wenig abseits von ihnen ausharrte. Caitlín konnte sich lebhaft vorstellen, dass die Hausherrin so steif und starr noch in der Nacht dort stehen würde, sollte das Thing so lange dauern.
    »Ach, Njal.« Seufzend lehnte sie sich an den Fensterrahmen und schmiegte die Wange an das kühle Holz. Reute sie ihr Zorn, der sie verleitet hatte, nicht für ihn zu sprechen? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie sich entgegen aller Vernunft nach ihm sehnte.
    Der Wind trug das Stimmengewirr des Thingplatzes zu ihr herüber. Manchmal meinte sie, Njals Stimme herauszuhören, dann wieder die von Thorir. Mühelos konnte sie den Hersen, der als Einziger auf einem erhöhten Stuhl saß, vernehmen, doch auch seine Worte waren nicht zu verstehen. Die Brüder schrien sich gegenseitig an. Sie standen sich gegenüber, umkreisten sich, unterstrichen ihre Anschuldigungen und Behauptungen mit ausdrucksvollen Gesten. Caitlín raufte sich ihr Haar. Es war schrecklich, nichts zu verstehen!
    Sicherlich war das Tor jetzt nachlässig bewacht. Sie könnte sich hinausstehlen. Sich an die Männer heranschleichen und lauschen.
    Sie schüttelte den Kopf. Das wäre nichts als gefährlicher Unfug.
    Was geschah jetzt? Der Herse hatte sich erhoben, und die Männer wurden still. Eirik sagte etwas, woraufhin alle in Gebrüll ausbrachen, das ebenso begeistert wie empört klang.
    Caitlín hielt es nicht länger aus. Sie musste etwas tun. Und wenn sie nur den Barden zu sich holte.
    Patrick stand noch immer mit seiner Harfe am Arm am Fuß der Treppe. »Ihr wollt, dass ich Euch in die Schlafkammer des Hersen begleite?«, fragte er zweifelnd, als sie ihn zu sich winkte. »Da habe ich nun aber wirklich nichts verloren. Doch Euch kann ich einfach nichts abschlagen.«
    Mit einem ergebenen Seufzen stieg er die Treppe herauf und gesellte sich neben sie ans Fenster. Eine Weile beobachtete er das Geschehen und rieb sich angespannt das glatt geschabte Kinn. »Ganz offensichtlich ist man sich nicht einig«, sagte er. »Ich fürchte, es wird auf die einzig mögliche Lösung hinauslaufen.«
    Caitlín sah, dass die Männer zurückwichen und einen weitläufigen Kreis bildeten. Einige ritten ins Dorf und kamen mit Stangen und Schilden zurück. Die Stangen schlugen sie in die Erde, wanden Schnüre darum und knüpften die Enden aneinander. Ein runder Platz entstand. Caitlín begriff, noch bevor Njal und Thorir unter den Schnüren hindurchschlüpften und sich

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