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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Arztserie oder eine Sportsendung. Aber wir sind nicht in
Deutschland, sondern in der Schweiz, und hier gibt es Jass. Es läuft recht
schlicht ab: Man sieht die Karten, die gespielt werden, hört dazu Kommentare im
Snooker-Stil und musikalische Einlagen, und das war’s dann. Doch obwohl es hier
nicht einmal etwas zu gewinnen gibt, erfreut sich die Sendung größter
Beliebtheit. Und zwar seit 1967,
also lange bevor bei Pro Sieben und auf Eurosport gepokert wurde – Samschtig-Jass ist die Großmutter aller Spielkarten-Shows.
Hier geht es zweifellos gemütlicher zu als bei Pokerturnieren, denn die Sendung
wird jedes Mal aus echten Restaurants und Kneipen im ganzen Land übertragen.
Aber für Anfänger wie mich ist der Versuch zu begreifen, was da eigentlich vor
sich geht, trotzdem kein Zuckerschlecken.
    Schon allein die Karten. Das gewöhnliche rot-weiße
Bridge- oder Rommeeblatt wird durch vier Farben ersetzt (Rosen, Schellen,
Eichel und Schilten), die aussehen, als stammten sie aus der Epoche der
Borgias. Die 36
Karten sind in so leuchtendem Gelb, Rot, Blau und Grün gehalten, dass mich die
Farbzusammenstellung und die seltsamen Formen immer noch verwirren. Ich muss
mir jede Karte genau anschauen, um draufzukommen, welchen Wert sie hat. Wie
viele kleine Eicheln wachsen an diesem Ast? Hält der Pfeife schmauchende Bauer
(auch Under, Buuer , Puur oder Püür genannt) wirklich eine Rose in der Hand? Wo
sind all die Karten unter 6
geblieben? Seltsamerweise spielt man gegen den Uhrzeigersinn, spielt Trumpf,
wann immer man Lust hat, und bestimmte Karten (wie die Trumpf 9, die
sogenannte Nell) sind viel mehr wert, als sie sollten. Hinzu kommt dann noch
das komplizierteste Punktesystem der Welt.
    Klarer Fall, dass hier nur Schweizer reüssieren.
Vielleicht ist Jass wie Kricket – ein Spiel, mit dem man aufwachsen muss, um zu
verstehen, was da eigentlich vorgeht. Wenigstens macht es die Schweizer
glücklich.

Nach Interlaken und noch weiter
    So ziemlich die einzigen Züge, in denen nicht Jass
gespielt wird, sind die Bergbahnen. Könnte das daran liegen, dass die Fahrgäste
die Aussicht bewundern? Aber obwohl Schweizer in der Regel unheimlich stolz auf
ihre Landschaft sind, verhalten sie sich ihr gegenüber ziemlich blasiert; für
sie ist sie nur eine Kulisse für ihr Leben. Nein, es liegt wohl eher an den
beengten Verhältnissen in den Bergbahnen, die auf Leistung und nicht auf Komfort
getrimmt wurden. Anscheinend gehören in Schweizer Bergbahnen unbequeme Sitze
mit minimaler Beinfreiheit zum obligatorischen Standard. Es ist wie in einem
Billigflieger, nur dass man die Fenster öffnen kann. Je höher es hinaufgeht,
umso unangenehmer die Fahrt; und wenn man endlich in Europas höchstgelegenem
Bahnhof am Jungfraujoch ankommt, muss man sich wirklich die Beine vertreten.
Und das, nachdem man einen horrenden Preis gelöhnt hat. 186,20 Franken, rund gerechnet 155
Euro, kostet die Hin- und Rückfahrt. Eine Fahrtstrecke dauert 137
Minuten, man zahlt also 56
Cent pro Minute – weniger als bei vielen Hotlines, und der Zweck ist sehr viel
vergnüglicher. Jedenfalls bekommt man eine Menge Berg fürs Geld – die Reise
endet 3454
Meter über dem Meeresspiegel. Natürlich zahlen nur die Superdoofen und/oder die
Superreichen den vollen Preis, aber selbst dann ist es die Sache wert. Diese
Traumfahrt durchläuft drei verschiedene Stadien, um den Gipfel zu erklimmen,
und sie beginnt in Interlaken, dem größten Ferienort der Schweiz.
    Wenn man sich die 4550 Betten und all die
Restaurants, Lokale und Souvenirläden wegdenken würde, bliebe von Interlaken
nicht viel übrig. Seine Existenz hängt völlig von der Tourismusbranche ab und
das schon seit den 1860er-Jahren,
als die ersten Reisegruppen eintrafen. Seither sind sie dem Ort treu geblieben:
Wer im August die Hauptstraße hinuntergeht, fühlt sich wie in Little Britain, nur ohne Vicky Pollard. Interlaken ist ein
Lieblingsziel der britischen Touristen, nicht nur weil es so bezaubernd ist,
sondern wegen seiner idealen Lage mitten im Berner Oberland. Von Interlaken aus
kann man mit dem Schaufelraddampfer die beiden Seen befahren, die das Dorf in
die Zange nehmen (daher der Name) oder den Zug hinauf ins alpine Wunderland
besteigen. Bei einem solchen Angebot vor der Haustür mag man den Planern
nachsehen, dass sie Bausünden wie das Hotel Metropole mitten im Zentrum
zugelassen haben. Wenn

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