Der Schweizversteher
nicht
versäumen, auf den Auslöser zu drücken â wirklich aufmerksam! Und dies ist nur
der erste von vielen groÃartigen Ausblicken: Bevor Sie also auf halber Strecke
die Kleine Scheidegg passieren, müssen Sie vermutlich eine zweite Speicherkarte
einlegen.
Wer glaubt, droben auf den Bergen gehe es ruhig und
friedlich zu, irrt sich: Auf der Passhöhe, der Kleinen Scheidegg, herrscht ein
Trubel wie am Piccadilly Circus. Hier müssen die Touristen für die letzte
Teilstrecke bergauf umsteigen, und die Schweizer Wanderer nehmen den Zug ins
Tal. Auch der Pass selbst ist ein beliebtes Ausflugsziel, und zwar weil er zu
FüÃen der Eiger-Nordwand liegt. Ein Teller Ãlplermakkaroni mit Blick auf diese
abschreckend steile, dunkle Felswand ist ein unvergleichliches Erlebnis für
Auge und Gaumen. Die Nordwand wird von den Schweizern auch Mordwand genannt
wegen der vielen Bergsteiger, die hier ihr Leben gelassen haben. Und da
behaupten manche Leute, die Schweizer hätten keinen Humor. Die erfolgreiche
Erstdurchsteigung gelang einer Seilschaft mit Heinrich Harrer, der spätestens
verkörpert durch Brad Pitt mit dem Film Sieben Jahre in
Tibet weltberühmt wurde (auch die Buchvorlage stammte aus seiner Feder).
Heutzutage geht es nicht mehr um die Bezwingung der Eiger-Nordwand, sondern um
den Geschwindigkeitsrekord beim Aufstieg. Den aktuellen Rekord der schnellsten
freien Begehung von zwei Stunden und 47 Minuten hält seit 2008
der gebürtige Emmentaler Ueli Steck.
Der Eiger ist der erste und berühmteste Gipfel des
Trios, zu dem auch der Mönch und, als höchster der drei, die Jungfrau gehören.
Gemeinsam beherrschen sie den Horizont des Berner Oberlandes und sind sogar vom
Zentrum der Bundeshauptstadt aus klar zu erkennen. In der Senke zwischen Mönch
und Jungfrau liegt mein Ziel, das Jungfraujoch, und dorthin gelangt man mit
einem dritten Zug innerhalb des Eiger. AuÃer einer Menge Felswände gibt es auf
der fünfzigminütigen Fahrt nicht viel zu sehen, nur bei zwei kurzen Pausen darf
man durch riesige in die Nordwand gehauene Fenster schauen. Zu bestaunen ist
hier eher die Meisterleistung der Ingenieurskunst als die Landschaft. Doch das
ändert sich, sobald man das Jungfraujoch erreicht. Die Luft ist dünn, die Sonne
gleiÃend, und der Wind kann kalt sein, aber man fühlt sich wie auf dem Dach der
Welt, wenn man auf den Aletschgletscher, den längsten der Alpen, hinabschaut.
Angesichts schneebedeckter Gipfel und dieses
eisgewordenen Stroms wähnt man sich in die Eiszeit zurückversetzt. Doch nicht
alle der alljährlich 500 000
Besucher des Jungfraujochs sind auf die Kälte vorbereitet â gut, dass ich,
obwohl August ist, eine Fleecejacke und eine Mütze mitgebracht habe.
Von der Schiene auf die StraÃe
Trotz der spektakulären Bergstrecken, der
erfolgreichen Marketingstrategie und der rekordverdächtigen Eisenbahnnutzung
lieben die Eidgenossen auch ihr Auto. In der Schweiz sind vier Millionen
Schweizer Fahrzeuge angemeldet, das sind mehr PKW pro Kopf als in GroÃbritannien und in Deutschland. Das Seltsame ist, dass die
StraÃen trotzdem nicht überfüllt wirken, zumindest im Vergleich zum Mittleren
Ring in München. Wo sind also die Schweizer Autos? Doch nicht etwa in der
Garage? Sicherlich nicht in den Einfahrten, weil die wenigsten Häuser eine
besitzen. Im Sommer kann man jedoch leicht feststellen, wo all die Autos sind â
sie stehen vor dem Gotthardtunnel Schlange. Radio- und Fernsehnachrichten geben
regelmäÃig die Länge der Blechlawine durch, die sich am Freitag südwärts wälzt
und am Sonntag nach Norden zurückrollt. Schlimmer noch ist es am Beginn und
Ende der Schulferien, wenn 20
Kilometer lange Staus und fünfstündige Wartezeiten keine Seltenheit sind.
Doch auch in der Hauptstausaison gibt es im Schweizer
Frühstücksfernsehen keine Liveberichte von der Autobahn, was vor allem daran
liegt, dass es kein Frühstücksfernsehen gibt. Kein munteres Moderatorenduo auf
dem Sofa, keine redundanten Berichte vor Ort, keine Nachrichten in
Endlosschleife. Stattdessen sehen die Schweizer Fernsehzuschauer das Wetter im
ganzen Land, und zwar mittels einer Serie sich wiederholender Webcam-Aufnahmen.
Das mag so aufregend klingen, wie dem Schnee beim
Schmelzen zuzusehen, aber es erfüllt einen sinnvollen Zweck. Die meisten Aufnahmen
kommen live von Berggipfeln, nicht wegen des
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