Der Schweizversteher
aus
Wahlkämpfen heraushielten. Mit Blocher hat sich das geändert.
Mehr Explosionsstoff barg allerdings das andere Plakat
der SVP , eine Zeichnung von drei weiÃen Schafen,
die auf einer Schweizer Fahne stehen und ein schwarzes Schaf über die Grenze
kicken. Für manche war nicht nur die Darstellung empörend, sondern auch die
Farbgebung: schwarz, weià und rot wie die Parteiflagge der Nationalsozialisten.
Von den Linken verunstaltet, von den Rechten verteidigt, führten die Plakate zu
gewalttätigen ZusammenstöÃen auf den StraÃen von Bern, zu einer Rüge der
Vereinten Nationen und zu britischen Schlagzeilen wie: »Ist die Schweiz Europas
Herz der Finsternis geworden?« Für die meisten Schweizer war es ein ziemlicher
Schock: Immerhin waren sie daran gewöhnt, dass ihre Wahlen auÃerhalb der
Landesgrenzen kaum Aufsehen erregten. Leider verfehlten die Plakate ihre
Wirkung nicht. Mit 29
Prozent errang die SVP das höchste Ergebnis, das je
eine Partei seit Einführung der Proporzwahl eingefahren hat. Der einzige
Lichtblick für die anderen Parteien war, dass Blocher danach seinen Sitz im
Bundesrat verlor. GroÃe Tiere kommen in der Schweiz schnell zu Fall.
Das inzwischen berüchtigte »Schäfchenplakat« war
vielleicht rassistisch, entfaltete aber Wirkung, weil es ein weitverbreitetes
Gefühl der Fremdenfeindlichkeit aufgriff. Wobei für die meisten Schweizer nicht
unbedingt Menschen schwarzer Hautfarbe das Problem sind, sondern Fremde im
Allgemeinen, und zwar insbesondere jene aus Exjugoslawien. Oft als »Jugos«
verunglimpft, werden sie nicht nur bei der Arbeits- und Wohnungssuche
diskriminiert, sondern sogar bei der Autoversicherung. Viele sind zudem
Muslime, was bei der Abstimmung im November 2009 über die Minarette ein
entscheidender Faktor war. Obwohl es in der ganzen Schweiz bisher nur vier
recht hübsche Minarette gibt, brachte die SVP eine
Volksinitiative auf den Weg, um per Verfassungsänderung zu erreichen, dass
keine weiteren gebaut werden dürfen.
Und wieder traf die Partei mit einem aggressiven
Plakat in denselben Farben ins Schwarze. Diesmal standen schwarze Minarette in
Form von mit Massenvernichtungswaffen bestückten Raketen auf der Schweizer
Fahne, daneben als Dreingabe eine Frau in schwarzer Burka â das eine hat zwar
mit dem anderen nichts zu tun, ist aber bestens geeignet, dem Wahlvolk Angst
einzuflöÃen. Auch diese rassistische, fremdenfeindliche Hetzkampagne war
erfolgreich: 57,5
Prozent der Bevölkerung und 22,5
Kantone stimmten für das Minarettverbot. Durch das Spiel mit den Ãngsten der
Bevölkerung vor einer religiösen Minderheit gewann eine Partei vom äuÃersten
rechten Rand eine landesweite Volksabstimmung. Das klingt vertraut? Und die
Ironie dabei: Da nur zwölf Prozent der in der Schweiz lebenden Muslime
Schweizer Staatsbürger sind, konnten die meisten von ihnen nicht an einer
Abstimmung teilnehmen, die sie direkt betraf.
Es waren aber nicht nur Muslime, die zur Zielscheibe
der nächsten SVP -Hasskampagne wurden, sondern alle
Ausländer. Im November 2010
erlebte das schwarze Schaf mit der Ausschaffungsinitiative ein Comeback, ein
Referendum, das dazu aufforderte, ausländische Straftäter automatisch in ihr Herkunftsland
abzuschieben, egal ob es sich bei der Straftat um Vergewaltigung oder
Sozialhilfemissbrauch handelte. Für Secondos, die in
der Schweiz zur Welt gekommen und aufgewachsen sind, konnte das die Rückkehr in
ein kleines süditalienisches Dorf bedeuten, aus dem die GroÃeltern in den 1960er-Jahren
fortgezogen waren. Die Initiative wurde mit einer klaren Mehrheit von 52,3
Prozent der abgegebenen Stimmen und von 17,5 Kantonen angenommen. Doch
dürfte es nicht leicht sein, diese Forderung in Gesetzesform zu gieÃen, weil
sie der europäischen Menschenrechtskonvention und vielleicht auch der Schweizer
Verfassung widerspricht.
Womöglich ist der Multikulturalismus einfach noch ein
bisschen zu neu für die Schweiz, die nie ein Weltreich war und daher keine
Einwanderung aus Kolonien kennt? Während man in anderen Ländern indische oder
andere asiatische Lokale besucht, geht man in der Schweiz zum Italiener: AuÃer
in den kosmopolitischen GroÃstädten ist das exotisch genug. Auch bewegt sich
der Schweizer selten weiter von zu Hause weg, sodass selbst jemand aus St.
Gallen in Bern als Fremdling gelten kann. Spricht man dann gar eine
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