Der Schweizversteher
noch Einwanderer der zweiten, dritten und vierten Generation (die
hier Secondos genannt werden) gelten als Ausländer.
Das ist ungefähr ein Viertel der 1,7 Millionen. Etwa 350 000 Menschen sind also in
der Schweiz geboren und aufgewachsen, ohne Schweizer zu sein. Viele bemühen
sich um eine Einbürgerung, wie sie den 13 Secondos der Schweizer FuÃballmannschaft gewährt wurde, die 2009 die U -17-FuÃball-Weltmeisterschaft
gewonnen haben. Aber so eine Einbürgerung ist ein langwieriger und teurer
Prozess, man muss sie beantragen und bezahlen, und das auf Gemeinde-, Kantons-
und Bundesebene. Möglich ist ein solcher Antrag, nachdem man zwölf Jahre in der
Schweiz gelebt hat. Und dann kann es weitere zwei Jahre dauern und kostet
Tausende von Franken, bis man Schweizer ist.
Statistiken sagen jedoch nicht immer die ganze
Wahrheit. »Einer der höchsten Ausländeranteile in Europa« ist ein oft gehörter
Aufschrei der Empörung, der auf der offiziellen Zahl von 22,4 Prozent beruht. Aber ist
sie auch richtig? Für Schweizer Verhältnisse schon, allerdings nur weil sich
die Einbürgerungsregeln der Eidgenossenschaft grundlegend von denen anderer
Länder unterscheiden. Vergleicht man Gleiches mit Gleichem, sodass dieselben
Voraussetzungen gelten, ergibt sich ein völlig anderes Bild â dann hat die
Schweiz nämlich einen Ausländeranteil von nur sechs Prozent. Also ungefähr so
viel wie GroÃbritannien und viel weniger als die deutschen 8,2 Prozent. Zwei Regeln
geben den Ausschlag. Nicht nach zwölf Jahren wie in der Schweiz, sondern schon
nach fünf Jahren Aufenthalt können sich Einwanderer in den meisten EU -Ländern um die Staatsbürgerschaft bewerben. Damit
erklärt sich, warum es derzeit so viele »Ausländer« in der Schweiz gibt: Nur 34
Prozent von ihnen leben seit weniger als fünf Jahren hier. Zweitens werden die Secondos anderswo besser behandelt. In Deutschland geborene
Kinder sind Staatsbürger, wenn sich mindestens ein Elternteil seit mehr als
acht Jahren ständig dort aufhält, in GroÃbritannien gilt ein Minimum von fünf
Jahren. Nicht so in der Schweiz, wo die rund 350 000 Secondos keine Staatsbürgerrechte haben. Wohl kaum ein fairer Vergleich.
Fast alle hier lebenden Ausländer stammen aus Europa.
Ein Blick auf die Abstimmungen beim Eurovision Song Contest zeigt, woher die
meisten kommen: 2008
(das letzte Jahr mit Telefonabstimmung und ohne Jurys) vergab die Schweiz douze points an Serbien, zehn an Portugal und acht an
Albanien. Eigentlich sind die beiden gröÃten ausländischen Bevölkerungsgruppen
Italiener und Deutsche, aber da Italien von 1998 bis 2010
nicht am Eurovision Contest teilgenommen hat und niemand in der Schweiz für
irgendetwas Deutsches stimmen würde, tauchen die beiden Länder nicht auf.
Ausgerechnet beim Eurovision Song Contest dürfen die Ausländer in der Schweiz
mit abstimmen â welche Ironie! Ist das wirklich ein Beispiel für gelebte
Demokratie? Oder haben die Schweizer gar recht damit, so viele Einwohner von
politischen Entscheidungen fernzuhalten? Wer weiÃ?
Sicher ist jedenfalls, dass die Schweizer Wirtschaft
in beunruhigendem Maà von Ausländern abhängig ist â fast ein Viertel der
Lohnempfänger sind keine Schweizer Bürger. Doch wer sonst sollte all die
ungeliebten Arbeiten erledigen? Auch in Deutschland gehen ja die Ausländer
putzen, lesen Wein oder stechen Spargel, kehren die StraÃen und verkaufen
Döner. Und so wäre die Schweiz ohne ihre Ausländer ein schmutziges Land mit
hungriger Bevölkerung. Eine Tatsache, der die meisten Schweizer blind
gegenüberstehen, bis man sie zwingt, die Augen zu öffnen.
Das schwarze Schaf Europas?
Um einschätzen zu können, wie grundsätzlich die
Immigrationsdebatte in der modernen Schweiz geführt wird, müssen wir uns zwei
Abstimmungen ansehen: die allgemeinen Wahlen 2007 und das Referendum zu
den Minaretten von 2009.
Im Wahlkampf hatte die rechte SVP ihre Kampagne auf
zwei Themen reduziert â ihren Vorsitzenden und die Einwanderung â, womit sie
die anderen Parteien vor den Kopf stieà und weltweit Schlagzeilen machte.
Ãberall hingen Plakate von Christoph Blocher, dabei gehörte er doch dem
Bundesrat an, dessen Mitglieder über der Parteipolitik stehen sollten. Was
traditionell bedeutete, dass sie sich, zumindest in der Ãffentlichkeit,
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