Der Schweizversteher
Umlauf befindlichen Scheine zurückrufen und
umgehend durch neue mit anderer Gestaltung ersetzen können. Das ist ein
erheblicher Aufwand und beweist das Engagement der Eidgenossen für ihren
Franken. Seine Stabilität und sein Wert sind von gröÃter nationaler Bedeutung,
und womöglich ist das der Grund, warum die Schweizer politisch lieber in
ruhigem Fahrwasser bleiben. Der Schweizer Franken ist genau deshalb stark, weil
er typisch schweizerisch ist: solide, beständig und zuverlässig wie das Land,
das hinter ihm steht. Der eine groÃe Unterschied ist, dass der Franken viel
öfter sein Erscheinungsbild ändert. Alle zwanzig Jahre wird ein komplett neuer
Notensatz entworfen, gedruckt und in Umlauf gebracht. Zuletzt geschah das von 1995
bis 1998;
damals beschloss man auch, die GröÃe der Scheine zu verändern. Ein Wunder, dass
die Schweizer mit so viel Radikalität zurechtkamen.
Beim Schweizer Franken war es zuvor wie beim Euro und
beim Pfund: Die Scheine wuchsen mit wachsendem Wert. Das erschwerte die
maschinelle Zählung, die sich in der Schweiz groÃer Beliebtheit erfreut; wer
mag es diesem bargeldfreudigen Land verübeln? Die praktische Lösung war, alle Noten
gleich breit zu machen, während ihre Länge mit dem Nennwert zunimmt. Mit der
typischen Aufmerksamkeit fürs Detail wurde jeder Schein elf Millimeter länger
gemacht als der (wertmäÃig) tiefer gestellte. Daher misst der 1000-Franken-Schein
bemerkenswerte 181
Millimeter â so ist wenigstens Platz für all die Nullen. Dass die Scheine
gleich breit sind, bedeutet auch, dass sie gut in die Brieftasche passen und
nicht etwa hässliche Kanten herausragen und schmuddelig werden.
Gestaltung, Herstellung und Pflege der Noten liegen in
der Verantwortung der Schweizerischen Nationalbank. Um ihre Wertschätzung für
diese Institution zu demonstrieren, haben die Schweizer der Bank die wichtigste
Adresse des Landes gegeben: Bundesplatz 1 in Bern. Dagegen kommt
nicht einmal das Parlament an, es muss sich mit dem Bundesplatz 3
begnügen.
Der ewige Wechsel der Scheine ist vielleicht eine
Reaktion auf die Existenz von Münzen, deren schlichte Motive sich seit ihrer
Einführung kaum verändert haben. Der radikalste Wandel vollzog sich im Jahr 1874,
als Helvetia aufstand: Bis dahin war die Schweizer Schwester von Britannia,
Germania und Bavaria sitzend abgebildet worden, aber seither steht sie stolz da
wie die Freiheitsstatue. Und mehr als hundert Jahre später musste der Ring aus
Sternen (jeder repräsentiert einen Kanton) auf der Zweifrankenmünze nach der
Schaffung des Kantons Jura einen weiteren Stern aufnehmen. Aber das warâs auch
schon. Da ich aus einem Land komme, das seine Münzen alle paar Jahre abwandelt,
wirkt es auf mich äuÃerst merkwürdig, Münzen zu sehen, die älter sind als ich.
Gelegentlich bekomme ich eine Münze aus den 1940er-Jahren als
Wechselgeld und frage mich, durch wie viele Tausend Hände sie seit ihrer
Prägung gegangen sein mag. AnschlieÃend wasche ich meist die meinen.
Obgleich ihr Design unverändert blieb, sind die Münzen
selbst nicht mehr die gleichen. Früher waren sie aus Silber, doch das lieà man
ab 1967
bleiben, da wegen des hohen Silberpreises Münzen gehortet und auÃer Landes
geschafft wurden. Auch geben sich die Schweizer nicht mit Kleingeld ab; die
Ein- und Zweirappenmünzen wurden aus dem Verkehr gezogen, also keine Preise auf
,99.
Sehr vernünftig.
Da die Münzen eine Konstante darstellen, werden
Veränderungen heftig debattiert. Besonders hitzige Diskussionen entfachte 1895
ein neues Design für die 20-Franken-Goldmünze.
Sie zeigte eine Schweizerin mit einem Schultertuch mit EdelweiÃborte vor einer
Bergkulisse. Nicht gerade ein kontroverses Motiv, möchte man meinen, doch
gewisse Herren nahmen Anstoà daran. Genauer gesagt an der Locke, die ihr in die
Stirn fällt und »die Frau wie ein leichtfertiges Luder« aussehen lässt; das
entsprach nicht dem Bild der Schweiz, das die Herren sich wünschten. Aber bei
der Ãffentlichkeit, die sich offenbar nicht an ihrem widerspenstigen Haar
störte, erfreute sich »Vreneli«, wie sie volkstümlich heiÃt, groÃer
Beliebtheit. Und so wie Vreneli eine echte Schweizerin ist, so ist auch auf dem
Fünffrankenstück, dem Fünfliber, in Gestalt des breitschultrigen Kapuzenträgers
ein Durchschnittsschweizer abgebildet,
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