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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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dann
haarsträubende Klamotten, betrinken sich sinnlos und benehmen sich im Großen
und Ganzen wie der Rest Europas. In vielen Städten, ob katholisch oder
reformiert, finden Kostümparaden statt, Marschkapellen begleiten die Umzüge,
Konfettikanonen, Lampions und Imbissbuden runden das Bild ab. Da es aber
Februar oder März ist (je nachdem, wie spät Ostern liegt) und wir uns in der
Schweiz und nicht in Rio befinden, bestehen die Kostüme aus wesentlich mehr
Stoff als die klitzekleinen Bikini-Tangas und die goldene Körperbemalung auf
der Südhalbkugel. Basel nimmt seine
Fasnacht
richtig ernst, sie beginnt am Montag nach Aschermittwoch um vier Uhr morgens
mit Tambouren, die ihre Trommeln schlagen, und Pfeifern, die ihre Flöten blasen
– zum Auftakt eines dreitägigen Festes, das die ganze Stadt okkupiert.
    Nach diesen Exzessen wird es ruhig.
Alle sind nun viel zu beschäftigt mit Fondue-Essen, Skiwochenenden und dem
Warten auf den Frühling. Ein sicheres Zeichen für das Ende des Winters gibt
dann der Schreibwarenhändler. Seit Oktober waren die Postkartenständer mit
märchenhaften Winterlandschaften und Schneefantasien gefüllt, doch eines Tages
werden nur noch schneefreie Ansichten feilgeboten, und man weiß, dass der
Frühling anklopft. Ich hatte noch nie zuvor saisonbezogene Ansichtskarten
gesehen, doch für die Schweizer gehören sie ganz normal zum Lauf der
Jahreszeiten. Ein weiteres Symptom sind die vielen in Cellophan verpackten
Schokoladenhasen in den Supermarktregalen. Schweizer Ostereier sind meist mit
Pralinen gefüllte Halbschalen; noch öfter findet man hohle
Schokoladenosterhasen in allen Größen und Formen. Doch so lecker sie auch sein
mögen: Hunderte von Hasen, die einen aus Schokoladenaugen anstarren, haben
etwas Beklemmendes. Klar, dass ich immer zuerst den Kopf abbeiße.
    Im Mai, wenn die Kühe bereits auf den
Almwiesen stehen, gibt es dann allerorten Spargel im Überfluss, und jeder hat
Wintermantel und Stiefel im Keller verstaut. Am 1. Mai sind in Städten wie Zürich
oder Bern Gewerkschaftsdemonstration Tradition; in jüngster Zeit endeten sie
allerdings mit Attacken auf McDonald’s und Schlachten mit der Polizei. Eigentlich
nichts, was man mit der Schweiz in Verbindung bringen würde, aber für ein Land,
das sich selbst als Hüterin des Individualismus begreift, brechen sich
antikapitalistische, antiglobale, antiamerikanische – ja anti alles gerichtete
– Gefühle in letzter Zeit recht vernehmlich Bahn.
    Der Sommer in der Schweiz kann eine
einzige monatelange Wander- und Grillsaison sein. Praktisch alle verbringen
jeden freien Augenblick auf einem Berg oder an einem See, was unausweichlich
mit einem Essen unter freiem Himmel endet. Nichts lieben die Schweizer mehr als
eine an einem Stock über offenem Feuer gebratene Wurst, dazu gibt es ein Stück
Brot, Senf und eine Dose Bier. Falls sie nicht irgendwo in der Wildnis am
Lagerfeuer sitzen, grillen sie im Garten oder auf dem Balkon. Hochsaison für
Grillwürste ist der Juli, wenn nicht nur die Schulen im Land geschlossen haben.
Selbst in geschäftigen Städten wie Bern machen manche Läden und Restaurants
Jahresurlaub, obwohl es von Touristen wimmelt. Das Schönste am Schweizer Sommer
aber ist das Schwimmen – nicht im Meer, sondern in Flüssen und Seen. Wenn die
Temperatur 30
Grad übersteigt, gibt es nichts Besseres, als ins kalte Nass zu tauchen, und
das ist nicht nur ein ländliches Vergnügen. Auch in Zürich, in Luzern und Genf
baden die Menschen zur Abkühlung im See, in Basel im Rhein und – am
allerschönsten – in Bern in der kristallklaren Aare. Man muss noch nicht einmal
selbst schwimmen, die Strömung trägt einen flussabwärts, und man fühlt sich
dabei wie auf einem flüssigen Rollband.
    Am 1. August ist Schweizer
Nationalfeiertag, und das ganze Land feiert ein gigantisches
Wander-Grill-Schwimmfest, dessen krönender Abschluss ein riesiges Feuerwerk
ist. Danach beginnt wieder die Schule: Überall kleben Plakate und erinnern die
Autofahrer daran, dass Kinder auf der Straße sind, denn die meisten Schweizer
Kinder gehen, oft unbegleitet, zu Fuß zur Schule. Wenn dann die Kühe nach dem
Almabtrieb in die Ställe zurückkehren und das letzte der beinahe täglichen
Gewitter verhallt ist, ist der Sommer tatsächlich vorbei.
    Die leckerste Jahreszeit ist der
Herbst, wenn

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