Der Schwimmer: Roman (German Edition)
für sein Kind oder für jemanden, der in das Haus einbrechen wollte, oder in den Hof, um Trauben zu stehlen oder sonst etwas. Isti und mich verscheuchte er, wenn er glaubte, wir seien fremde Kinder, die auf seiner Veranda oder in seinem Schuppen spielten, ohne daß man es ihnen erlaubt hatte.
Als Zoltán meinen Vater eines Morgens aus der Sommerküche zerrte, weil er nicht mehr wußte, wer er war, gab Ági meinem Vater einen Schlüssel für die Tür, die er von nun an abends zuschloß. Als Zoltán daraufhin das Türfenster einschlug, mit seiner blutigen Hand nach dem Schlüssel griff, der noch steckte, meinen Vater am Hemdkragen hinauszog und dabei so laut brüllte, daß wir alle davon aufwachten, band Ági jede Nacht mit einem Faden ein Glöckchen um Zoltáns Fußgelenk, sobald er eingeschlafen war. Wenn Zoltán seinen Fuß aus dem Bett setzte, um das Haus zu verlassen und durch den Garten zur Sommerküche zu gehen, wachte Ági auf und brachte Zoltán dazu, sich wieder hinzulegen. Manchmal vergaß sie, das Glöckchen am Morgen abzunehmen, und wir hörten Onkel Zoltán durch die Weinberge laufen, die Pfade hinab, in Richtung See und dann zurück, das Glöckchen mal lauter, mal leiser.
Virág gab nicht auf. Jeden Tag stellte sie uns ihrem Vater aufs neue vor, sagte wieder und wieder unsere Namen und brachte Zoltán dazu, sie zu wiederholen. Sie erklärte, wer wir waren, wer wessen Schwester oder Bruder war, und Zoltán fragte, warum erzählst du mir das, ich vergesse sowieso die Hälfte, und Virág erwiderte, wenn ich Ihnen die Hälfte erzähle, merken Sie sich nur ein Viertel, und dann lachten wir, und Zoltán lachte mit uns, als hätte er verstanden. Bald machten wir uns einen Spaß daraus, und mein Vater sagte, er sei König Mátyás oder Bartók Béla oder Horthy Miklós oder Puskás Ferenc und habe das entscheidende Tor geschossen, oder Maléter Pál, und bei diesem Namen legte Zoltán seine Stirn in Falten, als zwinge er sich, diesen Maléter in sein Gedächtnis zurückzuholen. Isti und ich, sagte mein Vater, seien Hänsel und Gretel, wir seien in den Wald geführt worden, dort, wo er am dichtesten sei, und jetzt hätten wir gerne etwas zu essen. Als Zoltán uns daraufhin Wurst, Käse und Tomaten auf den Tisch stellte und uns bedeutete, wir sollten zugreifen, schämten wir uns. Ich schämte mich, da ich mich seit Vat nicht mehr so gefühlt hatte wie hier am See. Nicht bei Manci, nicht bei Éva, nicht bei Zsófi.
An heißen Tagen, und bis September gab es viele, wenn die feuchte Luft Spuren auf unserer Haut ließ, konnte es so diesig sein, daß ich weder sah, wo der Himmel endete, noch wo der See begann. Es konnte Stunden dauern, bis sich der Dunst auflöste, und Isti und ich, wir warteten, bis wir eine kaum sichtbare Linie zwischen Luft und Wasser erkennen konnten. Ein mattes Licht breitete sich aus, eher weiß als blau, und Isti sagte, sie haben ein Netz vor den Himmel gehängt. An solchen Tagen saß Virág hinter dem Haus im Schatten, lehnte ihren Rücken an die Wand, flocht ihre blonden Haare in Zöpfe und löste sie wieder auf. Ganze Nachmittage verbrachte sie so. Sie entdeckte uns, sobald wir um die Ecke lugten, und wenn wir sie aus ihren Gedanken holten, zurück in dieses trübe Licht, dann schaute sie uns so an, als wüßte auch sie nicht mehr, wer wir sind, als müßten wir uns auch ihr noch einmal vorstellen, und ich sagte zu Isti, Virág sieht aus wie ein Tier, das in eine Falle gelaufen ist, und Isti nickte.
Abends ging mein Vater hinunter zum See, selbst wenn es regnete, wenn es über Nacht kalt geworden war, und ich folgte ihm, ohne daß er es merkte. Ich kannte den Weg, den er zwischen Weinstöcken und später über Wiesen, vorbei an Pappeln nahm, und ging kurz nach ihm los. Ich folgte dem Qualm seiner Zigarette, nur wenige Reihen Reben unter mir sah ich sein dunkles Haar, von dem Ági sagte, er müsse es schneiden lassen, sonst sehe er aus wie ein Zigeuner, und in ihrem Haus wolle sie niemanden, der so aussehe. Wenn er sich umdrehte, weil er etwas gehört hatte, versteckte ich mich und wartete einen Augenblick lang, bevor ich weiterlief.
Unten am Wasser hatte mein Vater eine Stelle gefunden, zu der niemand kam, nicht einmal zufällig, ein stilles, von den großen Stränden abseits gelegenes Stück Ufer, nur schwer zu erreichen. Erst viele hundert Meter weiter sprangen hin und wieder zwei Jungen von einem langen Steg ins Wasser. Ihre Rufe hörte ich nur sehr leise. Die Fußspuren meines
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