Der Schwimmer: Roman (German Edition)
befallen von dieser Art von Müdigkeit, an die Ági jetzt dachte.
Draußen servierte Virág Zserbókuchen und Schnaps, mein Vater bewunderte die Rosen, ach, so rote Rosen, und Zoltán erwiderte, ja, rote Rosen, aber stechen können sie, und das schmerzt. Zoltán sprach mit meinem Vater wie mit einem Kind, und Ági sprach so mit Zoltán. Virág löste ihr Haar, tauchte ihre Finger in die Schokolade, die in der Sonne geschmolzen war, und fing an, von einem Arzt zu erzählen, der am Ende dieser Straße wohne, ganz oben, jaja, noch ein gutes Stück zu laufen, dort, wo man den besten Blick auf den See habe. Reich sei er, naja, so reich wie man hier eben sein könne, und man sage, er habe sogar Telefon. Aber wen kann er anrufen?, fragte mein Vater, und Ági lachte. Niemanden konnte er anrufen. Niemand hatte Telefon. Vielleicht hatte der Kindergarten unten in Keszthely eins, vielleicht gab es eins am Bahnhof von Siófok. Aber auch das war nicht sicher. Ihn kann man anrufen, wenn etwas ist, redete Virág weiter, und Ági fragte: Aber von wo?
Nach mehreren Schnäpsen schlief Zoltán auf seinem Stuhl ein, und als er auf die Fliesen zu kippen drohte, trugen Ági und mein Vater ihn ins Haus. Mein Vater packte ihn unter den Armen, und Ági nahm ihn an den Füßen. Dabei lösten sich Zoltáns Badeschuhe aus braunem Plastik mit dem Kreuz über den Zehen und fielen mit einem matten Schlag auf den Boden. Das Kreuz zitterte. Zoltán streckte sich auf der Liege im Zimmer aus, Ági schob ihm ein Kissen in den Nacken, und den ganzen Nachmittag hörten wir Zoltáns lautes Schnarchen bis zur Veranda. Hin und wieder stand Ági auf, ging ins Haus, trat vor die Liege, begann zu pfeifen, und Zoltán blieb für einen Moment still. Virág senkte den Blick und pickte die Kuchenkrumen mit feuchten Fingern auf, und mein Vater leerte das Glas, das Ági für ihn gefüllt hatte. Als die Mücken am Abend anfingen, uns zu stechen, erst an den Füßen, dann an den Schenkeln, jagten Isti und ich einander zwischen den Rebstöcken hinunter zum See, und als uns niemand mehr hören konnte, fragte Isti, wer hat ein Stück aus Onkel Zoltáns Schädel gebrochen?
Zoltán war Zsófis älterer Bruder. Er war ihr Trauzeuge gewesen und hatte ihr Halsband aus Samt am Morgen nach der Hochzeit mit einem Messer zerschnitten. Bevor Zoltán krank wurde, bevor er Tabletten nahm und schwer wurde, bevor seine Augen kleiner wurden und seine Adern hervortraten, bevor er nach und nach Teile seines Kopfes verlor, den sie an der Seite geöffnet und zugenäht hatten, zählte er zu den schönsten Männern in Szerencs und im Umkreis von fünfzig, ja, mindestens fünfzig Kilometern. Man erzählte sich, Frauen und Mädchen waren mit dem Zug, mit dem Bus und zu Fuß gekommen, mit Eltern, mit Geschwistern, nur um einen Blick auf ihn zu werfen. Er hatte dichtes schwarzes Haar und über der Stirn eine einzige weiße Strähne, die aussah, als sei die Farbe dort vergessen worden.
Zoltán hatte keines der Mädchen genommen, die in sein Dorf gepilgert waren, um ihn zu sehen. Er hatte ihnen zugelächelt, hatte mit ihnen gesprochen, vielleicht sogar mehr als zwei Worte, aber ausgesucht hatte er sich Ági, die er im Sommer 1945 in Badacsony getroffen hatte. Es war ein heißer Sommer gewesen, ein sehr heißer Sommer, wie mir Ági an einem dieser Abende erzählte, und Zoltán war angereist und hatte unten am See um den Titel einer Meisterschaft gefochten. Ági hatte in einem Ausschank gearbeitet, den Wein mit einer Kelle aus tiefen Blechfässern geschöpft und in Gläser gegossen. Sie hatte den Wein ihres Vaters verkauft, der hier wuchs, hier, vor unseren Augen. Als er Ági zum ersten Mal sah, hatte Zoltán seine Hand ins Blechfaß getaucht und Ági mit Wein naßgespritzt, ohne später noch sagen zu können, warum. Vielleicht war es Ágis Stimme gewesen, vielleicht der kleine Schatten, den ihre Wimpern warfen, wenn sie die Lider senkte, vielleicht bloß ihre Art, die Kelle an die Gläser zu schlagen. Ági hatte den Wein weggegossen, weil niemand mehr davon hatte trinken wollen, nachdem Zoltán seine Hand ins Faß getaucht hatte.
Auf ihrer weißen Bluse waren Flecken geblieben, und zehn Tage lang hatte sie nicht ein Wort mit Zoltán gesprochen, obwohl er jeden Abend zu ihrem Ausschank gekommen, im Schmutz vor ihr niedergekniet und erst wieder aufgestanden war, wenn Ági den Ausschank geschlossen und das Schild mit den Öffnungszeiten über das Blechfaß gehängt hatte. Ringsum hatte man
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