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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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hellen grünen Streifen.

Katalin.
    Damals waren meine Mutter und ihre Freundin Vali aus dem Zug gestiegen, an einem Novembertag, wie es ihn nur bei uns gibt, mit dem ersten Frost, der über Nacht kommt und dem die Mittagssonne nichts mehr entgegensetzen kann, erzählte Großmutter, während Virág Tee mit der Kelle nachschenkte und Zoltán immer wieder mit seinem Löffel an die Tasse stieß, um den Kristallzucker zu verrühren. Es klang, als wolle er einen Takt vorgeben, als wolle er sagen, hört zu, hört gut zu. Vor der Grenze, am letzten Bahnhof, waren sie ausgestiegen, hatten trotz der Kälte das Fenster im Abteil herabgezogen, als der Zug einfuhr, und nach einem Schild gesucht, um sicher zu sein, dies war der richtige Ort, dies war der Ort, an dem sie den Zug verlassen mußten. Was stand auf dem Schild?, fragte Isti, und Großmutter erwiderte, deine Mutter hat es vergessen.

    Als sie auf den Bahnsteig getreten waren, ohne Tasche, ohne Koffer, hatten sie ihre Kopftücher unter dem Kinn zusammengebunden, fester als sonst, hatten ihre Mäntel bis oben zugeknöpft, die Krägen hochgeschlagen, ihre Gesichter dahinter versteckt, so gut es ging, und nicht gewußt, ob sie vor Angst oder vor Kälte zitterten. Sie hatten versucht, nicht aufzufallen, versucht, so auszusehen wie jemand, der hier lebte, der immer schon hier gelebt hatte, wie jemand, der Hof, Mutter, Vater, Schwester, Bruder hier hatte, immer schon. Wenn sie wenigstens Gepäck gehabt hätten, hätten sie sich daran festhalten, hätten vorgeben können, auf jemanden zu warten, der schon unterwegs war, um ihnen die Koffer gleich abzunehmen. Sie wären erst später weitergegangen, sobald sich die Zugstation geleert hätte, sobald sich die anderen nach der ersten Umarmung an den Gleisen auf die wenigen Straßen verteilt hätten oder in einen Bus gestiegen wären, um zwei, drei Dörfer weiterzufahren. Aber so waren sie gleich losgegangen und durchs Dorf spaziert, im richtigen Tempo, wie sie glaubten, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Niemand sollte denken, sie hätten es eilig oder wüßten nicht wohin. Trotzdem fielen sie jemandem auf. Jemand erkannte, daß sie fremd waren und einen Weg suchten, nach dem sie nicht fragen konnten. Ein Bauer war es, mit einer blauen Jacke ohne Kragen, dazu einer Mütze, die so fest auf seinem Kopf saß, daß die Haut über seinen Ohren weiß war - jemand, auf den man bestimmt nicht viel gab im Dorf. In diesen Tagen stand er an der Zugstation und hielt Ausschau, seit sich herumgesprochen hatte, hier würden sie ankommen, aus dem ganzen Land, von überallher, aus jedem Winkel des Landes, um den Weg über die Grenze zu suchen.

    Neben seinem Fahrrad, unter einem Blechdach, etwas abseits vom Portal zur Halle mit ihren wenigen Sitzen, weit genug entfernt vom Eingang, den die Schaffner benutzten, wartete er, an jedem Tag, seit man hier die ersten Fremden gesehen hatte, die aus dem Zug gestiegen und losgelaufen waren, um kurz darauf von der Straße verschluckt zu werden, zwischen wenigen Bäumen, unter einem Novemberhimmel, irgendwo dort, wo dieses Land endete und ein anderes begann. Jeden Zug paßte er ab, seit er wußte, in Budapest war etwas geschehen, das bis hierher zu spüren war, seit er gehört hatte, Köpfe aus Stein hätten sie zerschlagen, die Scherben mit Füßen getreten, Schüsse seien gefallen, zu viele, jemand hätte die Welt angerufen, über das Radio, aber die Welt hätte sich verweigert, als hätte es niemand gehört, als hätten sie das Radio erfunden, aber nicht für uns.

    Auch an dem Tag, als meine Mutter und Vali ankamen, stand der Bauer unter dem Dach aus Blech, neben seinem Fahrrad. Er beobachtete sie dabei, wie sie den Zug verließen, wie sie um sich schauten, über den Bahnsteig gingen und hinter den Türen der Zugstation ohne Ziel in irgendeine Richtung losliefen. Er folgte ihnen, über die Dorfstraßen, vielleicht zehn Schritte hinter ihnen, schob sein Fahrrad übers Eis, und meine Mutter konnte hören, wie sich die Räder durch die Asche drehten, die man vor den Häusern auf die Wege gestreut hatte. Sie versuchte, nicht auf dieses Geräusch zu achten, sondern auf das unter ihren Sohlen, wenn sie den Fuß aufsetzte, auf den Klang ihrer eigenen Schritte. Sie richtete den Blick auf die wenigen Lichter eines Hofes in der Nähe und versuchte, langsamer zu atmen, ruhiger.

    An einer Kreuzung blieb der Bauer stehen, um ihnen einen Vorsprung zu lassen, vielleicht nur, um zu sehen, was sie tun würden, vielleicht

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