Der Schwimmer: Roman (German Edition)
nur.
Am Morgen verlor unser Vater kein Wort darüber, und Anna legte ihm wie zum Dank ihre Hand auf die Schulter. Als Isti am Abend nicht zurückkehrte, war es Anna, die mit mir ins Dorf ging, um ihn zu suchen, die jeden Weg ablief und in jedem Hof nachschaute, ob Isti sich dort versteckte. Wir fanden Isti hinter der Zugstation, in einem Verschlag hinter den Gleisen, wo sie Kisten stapelten, und erst als Anna ihn drängte, weil sie Istis rote und blaue Flecken sah, und seine Hosen, die zerrissen waren, gab er zu, sich mit den Dorfkindern wegen der Hunde geprügelt zu haben, die durch die Gärten getobt waren, ihre Spuren in den Schnee gesetzt und Zäune zerbissen hatten. Anna sagte, sie würde sich bei jedem entschuldigen, ihr würde etwas einfallen, Isti solle sich nicht sorgen. Sie würde sagen, die Hunde hätten sich selbst aus ihrem Zwinger befreit, die Tür schließe schon eine Weile nicht, man müsse sie richten, und dann ging Isti mit uns zurück, und ich, ich wunderte mich, daß Anna solche Dinge sagen konnte. Als unser Vater Isti sah, stand er auf, prüfte Istis blaue Flecken, nahm sein Gesicht zwischen die Hände, und ich bin sicher, er tat das zum ersten Mal. Er stellte keine Fragen, lief ohne Mantel ins Dorf, obwohl es kalt war, viel zu kalt. Anna hat man später erzählt, Kálmán habe sich die Kinder vorgenommen, jedes einzelne, und sie schaute so komisch, als sie uns sagte, früher sei es auch so gewesen, genau so.
Auch Kálmán hatte sich als Junge geprügelt, genauso, wilder noch, blutiger sogar. Alles hatte ihm als Grund gereicht, auch den Kindern im Dorf hatte alles als Grund gereicht, um sich mit ihm zu prügeln, und es hatte niemanden gegeben, der sich vor Kálmán gestellt hätte, Anna hatte es jedenfalls nicht getan. Sie hatte gesagt, ein Junge ohne Vater dürfe sich nicht prügeln, einfach, weil er keinen Vater habe, der sich vor ihn stellen könne, und jetzt sagte sie, ihrem Mann habe sie viel verziehen, das Rauchen, das Trinken, auch daß er nächtelang in Miskolc geblieben und zurückgekehrt war mit einem Katzenhaar am Kragen, über das beide kein Wort verloren. Aber sie hatte ihm nicht verziehen, daß er zu früh gestorben war und ihr nichts als ein Holzkreuz und zwei Paar Schuhe hinterlassen hatte. An einem Riemen aus Leder hatte er sich erhängt, auf dem Heuboden, über Annas Kopf, nur um sie allein zu lassen, wie sie sagte, mit einem Hof, von dem sie nichts wissen wollte, und einem Jungen, der sich mit jedem Kind im Dorf prügelte, daß Anna sich schämen mußte.
Annas Mann, Miklós, unser Großvater, hatte auf dem Heuboden gehangen, während Anna unten durchs Zimmer gegangen war, im Bett geschlafen, in der Küche Teewasser aufgesetzt und geglaubt hatte, ihr Mann sei in Miskolc. Sie hatte sich gewundert, daß am Tisch ein Stuhl fehlte, aber erst als sich ein Schuh von Miklós' Fuß gelöst und Anna einen Schlag gehört hatte, war sie auf den Dachboden gestiegen. Sie war an der Hauswand entlang durch den Garten gelaufen, war die Leiter zum Dach hochgeklettert, und sie hatte keine Angst gehabt, erst, als sie die Tür zum Dach öffnete und Miklós' Schuh sah und dann seine Füße, vielleicht einen Meter über den Dielen. Anna hatte es nicht geschafft, den Knoten zu lösen, und Kálmán hatte kommen müssen, um das Leder zu durchtrennen.
Jemanden aus dem Dorf hatten sie gerufen, der geholfen hatte, Miklós hinunterzutragen und aufs Bett zu legen, und Anna sagte, die Uhr an der Wand sei in diesem Moment stehengeblieben, sie habe sie seitdem nicht mehr aufgezogen, und Isti schaute auf die Uhr und sagte, Viertel nach vier, als sei es neu für uns, daß diese Uhr nur eine Zeit zeigte und wir sie nicht aufziehen durften. Obwohl Anna und Kálmán vorgegeben hatten, Miklós sei im Bett gestorben, hatte sich der Pfarrer geweigert, ihn zu begraben. Anna hatte gefleht, geweint, geschrien, hatte ihm Geld geboten, war irgendwann aus Erschöpfung eingeschlafen, auf der Küchenliege, in Kleidern, in Schuhen, und später hatte der Pfarrer sie geweckt und ihr versprochen, Miklós doch zu beerdigen, und Anna wußte, Kálmán hatte mit ihm gesprochen, während sie geschlafen hatte.
Anna hatte Kálmán auf einem Stapel Tücher zur Welt gebracht, im Bett, das sie mit ihrem Mann geteilt hatte, lange bevor er in einen Zug zu steigen und in einem Krieg zu kämpfen hatte. Anna hatte am Gleis gestanden, vor dem Zugfenster, mit Kálmán, der kaum größer gewesen war als Isti jetzt, und beide hatten sie
Weitere Kostenlose Bücher