Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Miklós' Hände gehalten, jeder eine, und als sich der Zug in Bewegung setzte, hatte Kálmán gerufen: komm zurück!, und Miklós hatte versprochen, ich komme zurück. Anna hatte den Krieg verflucht, der sie geängstigt hatte, viel mehr noch, als er schon vorbei war und sie im Dorf erzählten, alle aus der Partei werde man erschießen oder aufhängen, auch Miklós.
Zwischen den Kriegen hatte Miklós zu den reichen Bauern gehört, dann hatte man ihm alles genommen, und es wäre besser gewesen, ihn zu erschießen, uns alle zu erschießen, sagte Anna, verloren hatten sie alles, sagte sie, als könne man Felder, Wälder, Tiere verlieren, und dann habe Miklós angefangen zu trinken, und dafür habe er auch den Rest noch verkauft, die Möbel, die Wäsche, das Geschirr. Anna war allein geblieben, weil sie dachte, einen auf Erden und im Himmel, einen im Leben und im Tod, und jetzt, sagte Anna, kehre Miklós zurück, fast jeden Tag, um neben ihr auf dem Bett zu sitzen, das sie geteilt hatten, oder auf einem Stuhl davor. Da sitze er und schaue ihr zu, in der Küche und im Stall laufe er an ihr vorbei, er sitze mit uns am Tisch, gehe plötzlich neben uns, besonders an der Kirche, dort tauche er oft auf, nur um ein Stück mit ihr zu gehen, erzählte Anna, und nicht einmal mein Vater sagte, hören Sie auf damit, lassen Sie das, nur Isti fragte, warum laufen Sie zum Friedhof, wenn Miklós doch jeden Tag zu uns kommt?
Und so lebten wir in diesem Winter, mit Anna und mit Miklós, der bei uns war, ohne daß wir ihn sehen konnten, der auf dem Bett saß, der neben uns lief oder hinter dem Taubenhaus durch den Garten, nur, um in Annas Nähe zu sein. Isti fing an, mit ihm zu reden, und irgendwann erklärte er, Miklós habe gesagt, morgen käme ein Brief, ein wichtiger Brief, und ich wußte nicht, ob Isti nur mit uns spielte, aber der Postbote brachte am nächsten Morgen wirklich einen Brief, und er trug ihn so, als wüßte er, was darin stand, als wüßte er, daß er ihn so zu tragen hatte, wie er ihn trug, mit beiden Händen, als sei er schwer, dieser Brief.
Ich griff nach ihm, mein Vater nahm ihn mir aus den Händen, weil er nicht wollte, daß ich die Briefe laut las, weil er erst sehen wollte, was dort geschrieben stand, und dann las er den Brief leise, für sich. Anna umfaßte die Stuhllehne mit nassen Fingern, Isti drängte: was ist es?, und unser Vater sagte, es ist etwas mit Jenő, Jenő ist nicht mehr da, er hat uns verlassen, er ist weg, und er sagte all das sehr leise. Isti fragte, wo ist er?, aber er fragte nur so. Er wußte, wo Jenő jetzt war, und ich, ich wußte es auch.
Kálmán.
Wir fuhren zu Zsófi, schon wenige Tage später, erst mit dem Zug, dann mit dem Bus, auf einer Asphaltstraße, über die wir vor Jahren gelaufen waren, ohne Schuhe, Isti und ich, unter diesem flachen Himmel, der hier näher war als anderswo und an diesem Tag so blau, daß Anna sagte, dieses Blau schmerze in ihren Augen, warum trage der Himmel ausgerechnet heute dieses Blau?
Zsófi kam über den Hof zum Tor gelaufen und rief unsere Namen, als sei sie überrascht, uns zu sehen, obwohl Anna ihr geschrieben hatte, wir kommen, und dann rief sie, Anikó, Pista, kommt raus, seht, wer da ist. In der Küche hatte Zsófi ein Foto von Jenő aufgestellt, das sie zu oft in den Händen gehalten hatte, in einem Rahmen aus dunkelrotem Holz, davor zwei brennende Kerzen. Jenő sah aus, wie ich mich an ihn erinnerte, mit weißem Hemdkragen, dunklem Haar, in der Mitte gescheitelt, seine Augen ein bißchen so, als habe ihn etwas erschreckt, das Kinn zur linken Schulter gezogen, so wie es die Photographen jetzt wünschten. Anikó sagte, Zsófi sitze Tag und Nacht davor und achte darauf, daß die Flammen nicht ausgehen, sobald eine Kerze abbrenne, zünde sie die nächste an. Zsófis roter Strich am Hals war blaß geworden, er war kaum mehr zu sehen, und manchmal legte Zsófi einen Finger darauf, als wolle sie uns zeigen, daß er noch da war. Zsófi rauchte, sie machte es nicht länger zum Geheimnis, jetzt, da ihr alles gleich war, auch was irgendwer von ihr denken oder sagen würde. Jedesmal wenn sie an ihrer Zigarette gezogen hatte, legte Zsófi sie neben Jenős Bild in einen Aschenbecher aus hellem Porzellan, als sei sie zu schwer, um sie zu halten.
Warum ist er jetzt gegangen?, fragte Zsófi, als wüßten wir eine Antwort darauf, ausgerechnet jetzt, da Pista die Federn vom Speicher geholt hat, jetzt, da der Boden bedeckt war mit Federn, die sie um diese
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