Der Schwur der Ritter
Tam normalerweise im Traum nicht gedacht hätte. Als einfacher Sergeant verkehrte er nur selten in Ritterkreisen, doch diese Nacht hatte ihre eigenen Regeln.
»Mylord Admiral, ich fürchte, die Worte an sich sind unbequem«, sagte William, noch während er sich setzte.
»Aye, nun ja, damit habe ich gerechnet, Sir William. Welche Kunde überbringt Ihr uns? Ich nehme an, es ist ein Schriftstück?«
»Aye, Admiral, verfasst vom Großmeister selbst. Tam?«
Tam Sinclair zog sich die schwere Ledermappe von der Brust, legte sie auf seinen Schoß und öffnete sie, um zwei in Pergament gewickelte Päckchen hervorzuholen. Eines davon reichte er St. Valéry, der es nachdenklich in der Hand wog, während er den Blick auf das andere Päckchen richtete, das Tam jetzt wieder in die Mappe schob.
»Anscheinend hatte der Großmeister ja einiges zu sagen. Für wen ist denn das andere Päckchen, wenn ich das fragen darf?«
Sir William nickte Tam zu, und dieser reichte dem Admiral auch das zweite Päckchen.
St. Valéry las die Adresse, und seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Für Sir William Sinclair. Zu öffnen am Fest der Epiphanie Anno Domini 1308. Jacques de Molay, Großmeister.« St. Valéry sah Sir William an. »Die Epiphanie?«
Will Sinclair zuckte mit den Achseln. St. Valéry reichte Tam das Paket zurück und legte die Hand wieder auf das seine, machte aber keine Anstalten, das Siegel aufzubrechen.
»Wisst Ihr über den Inhalt Bescheid?«, fragte er. Will Sinclair nickte.
»Und Euer eigenes Paket?«
»Ich habe keine Ahnung, Sir. Der Großmeister hat nur betont, dass ich es erst am Fest der Epiphanie öffnen soll.«
»Wie ominös. Eigentlich sogar beängstigend. Es ist doch erst Oktober. Drei Monate Wartezeit, in denen so viel passieren könnte. Dann sagt mir kurz, was in meinem Brief steht. Ich werde ihn später genau lesen.«
Sir William holte tief Luft, erhob sich und stellte sich dem General gegenüber. »Wie Ihr wisst, hat der Papst den Großmeister vor etwa acht Monaten aus Zypern nach Frankreich bestellt, um mit ihm über den Vorschlag einer Vereinigung der Templer und der Hospitalritter zu sprechen. Ein Vorschlag, dem Meister de Molay vehement widersprochen hat.«
St. Valéry räusperte sich. »Seine Einwände sind mir vertraut. Teilt Ihr sie ebenfalls?«
Sinclair nickte. »Ja, Admiral. Der Großmeister fürchtet, dass wir unsere Identität verlieren, wenn wir uns mit den Hospitalrittern zusammenschließen. Und damit ist er nicht allein.«
»Nun, fahrt fort.«
Sinclair verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Nun, der Hospitalerorden ist viel größer und komplexer als unser Orden, sein Betätigungsfeld viel weiter und seine Auffassung von seinen Pflichten sehr viel weniger streng. Welche Gebäude würden in Städten erhalten bleiben, wo beide Orden ansässig sind, die des Tempels oder die des Hospitals? Und wer – welche Würdenträger – würden die Konsolidierung überleben? Das alles macht ihm Sorgen. Seine Gespräche mit Papst Clemens und mit König Philipp waren wenig zufriedenstellend und haben zu keiner konkreten Lösung geführt. So hat unser Großmeister die letzten beiden Monate untätig in Paris gesessen. Vor Kurzem jedoch wurde ihm eine Warnung von einem Komplott gegen den Orden zugetragen, die er sehr ernst genommen hat. Ich habe keine Ahnung, woher sie kam, habe aber den Eindruck, dass es eine vertrauenswürdige Quelle aus dem Umfeld entweder des Königs selbst oder seines Ministers de Nogaret war.«
St. Valéry nickte ernst. »Ich verstehe. Und was bezweckt dieses Komplott? Da de Nogaret dahintersteckt, kann es ja nur darum gehen, unser Geld zu konfiszieren. Wie weit reicht die Verschwörung?«
»Weiter als Ihr Euch träumen lasst, Sir Charles. Ich habe sogar zunächst geglaubt, der Großmeister hätte den Verstand verloren, als er mir davon erzählt hat. Er hatte selbst tagelang gezögert, doch seine Quelle, so sagte er, sei über jeden Zweifel erhaben, und so habe er mit Vorbereitungen für den Fall begonnen, dass sich die Bedrohung als real erwies.«
St. Valérys Gesicht hatte sich verfinstert. »Das klingt ja, als stünde das Ende der Welt bevor.«
»So ähnlich ist es auch«, erwiderte Sir William im Ton eines Kommandeurs. »Es ist das Ende unserer Welt hier in Frankreich. Philipp Capet, unser geliebter König, hat seine Armeen gegen uns in Stellung gebracht. Seine Armeen, Sir Charles. Und seine Minister. Die Mächte des Königreichs Frankreich sind gegen uns in Stellung
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