Der Schwur des Maori-Mädchens
»Wohin so spät?«, fragte er und musterte die Axt prüfend.
»Ich ... ich ... ich möchte noch ein wenig schnitzen. Ich kann nicht schlafen«, log Matthew.
»Du möchtest also mittels einer Axt Figuren schnitzen?« Der Spott in der Stimme des Reverends war kaum zu überhören.
»Ja... nein, ich... ich brauche neues Holz«, erwiderte Matthew zögernd.
Walter aber griff ohne Vorwarnung nach der Axt und riss sie ihm weg. »Du wirst nicht zum Maiki fahren«, sagte er in bedrohlichem Ton.
»Maiki... ich ... wieso ... was soll ich da?«
»Den Rebellen helfen, den Mast zu fällen!«
»Aber ich ... ich ...«, stammelte Matthew.
»Du willst also wissen, wieso ich im Bilde bin? Hone Heke selbst hat es mir vor ein paar Tagen ins Gesicht geschleudert, nachdem ich ihm ins Gewissen zu reden versuchte, es nicht noch einmal zu probieren. Wortwörtlich hat er gedroht, dass er es heute noch einmal machen werde, und zwar mit Erfolg! Und dass ich mich noch wundern würde. Doch wie dem auch immer sei. Du gehst nicht, du dummer Junge! Und wenn ich dich mit Gewalt daran hindern muss.«
»Du hast mir gar nichts zu sagen«, konterte Matthew, nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.
Und schon hatte Walter seinem Ziehsohn eine Ohrfeige verpasst.
»Du wirst mich auch nicht noch einmal schlagen. Hörst du?«, schrie Matthew daraufhin, doch Walter brüllte zurück: »Nur über meine Leiche!« Und er packte ihn grob am Oberarm.
Matthew schrie auf vor Schmerz und wehrte sich, doch Walter, der immer noch über genügend körperliche Kraft verfügte, schleifte seinen Ziehsohn mit sich.
»Du wirst dich nicht in Gefahr bringen, nur wegen so einer dummen Fahne!«, zischte er. »Weißt du eigentlich, dass der Mast von einem Heer von Rotröcken bewacht wird? Willst du Futter für deren Musketen werden?«
Sie waren nun am Haus angelangt. Walter stieß Matthew in die Diele und schloss die Haustür hinter sich ab.
»So, mein lieber Sohn, jetzt reden wir. Von Mann zu Mann. Bist du so naiv zu glauben, dass das alles noch ein dummer Jungenstreich ist? Es geht um Leben und Tod. Und wenn dieser Wahnsinnige nicht bald aufgibt, dann bedeutet das Krieg. Du weißt, dass Kawiti schon wieder Siedler ausgeplündert hat und dass er sich mit Hone Heke verbündet hat.«
»Pah, das wird doch nur erzählt, um gegen Hone Heke Stimmung zu machen! Es ist nicht nur ein Fahnenmast. Ihr wollt uns beherrschen. Darum geht es!«
»Was ist denn hier los?«, mischte sich Emily ein, die der Lärm auf die Diele getrieben hatte.
»Dein Sohn will den Fahnenmast fällen. Damit!« In der einen Hand trug Walter immer noch die Axt, die er wie eine Trophäe hochhielt.
»Du wolltest mit diesen Verbrechern gemeinsame Sache machen? Ich kann es nicht glauben!«, rief Emily schrill. »Warum, mein Junge, warum?«
»Ihr nehmt uns unser Land, ihr bringt unserem Volk Krankheit und Armut!«
»Ich höre wohl nicht richtig. Wer hat dich denn vor den Kriegern deines Volkes gerettet?«
Matthew verdrehte entnervt die Augen. »Ja, ja, ich weiß. Das war er.« Er zeigte auf Walter. »Aber er hat mich auch einen schwarzen Satan geschimpft. Muss ich das hinnehmen, nur weil er mir das Leben gerettet hat? Im Fluss wäre ich als stolzer Häuptlingssohn gestorben, aber hier werde ich lebendig gedemütigt.«
Walter war blass geworden. »Ich habe dich nie einen Satan genannt. Wie könnte ich so etwas tun?«
»Du warst betrunken.«
»Mein Junge, dafür entschuldige ich mich. Das habe ich nicht so gemeint. Das ist doch kein Grund, sich den Rebellen anzuschließen.«
»Du hast mich geschlagen, nachdem mich Mister Hobsen in Kororareka gefangen gehalten hat.«
»Aber Junge, das habe ich doch nur getan, um dir klarzumachen, dass du nicht lügen darfst. Denn wir wissen doch alle, dass du niemals beim Fahnenmast gewesen sein kannst, als er zum zweiten Mal gefällt worden ist«, entgegnete Walter gequält.
Matthew biss sich auf die Lippen. Am liebsten hätte er es hinausgeschrien: Aber beim ersten Mal war ich dabei! Er konnte sich gerade noch beherrschen.
»Ich wollte dir nicht wehtun, aber ich habe große Sorge, dass du mir auch noch entgleitest...«
Er wollte hastig weitersprechen, aber Matthew unterbrach ihn scharf: »Wen meinst du mit auch?«
»Ich ... ich meine ... ich meine Henry, mit dessen Wahl ich nicht besonders glücklich bin«, stotterte er. »Und nun versprich mir doch, dass du
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