Der Schwur des Maori-Mädchens
der jungen Braut zu verbergen. Zu diesem Zweck hatte Mabel Newman keine Mühen gescheut. Sie selbst hatte das Kleid geschneidert, das die verräterische kleine Wölbung am Bauch ihrer Schwiegertochter geschickt hatte verbergen können. Das Einzige, woran sich Lily schmerzhaft entsann, war die Fremdheit, die sie Edward gegenüber empfunden hatte. Er sah immer noch gut aus, keine Frage, ja, er war sogar männlicher und attraktiver geworden, aber wo war die Freundschaft geblieben, die sie einst verbunden hatte? Warum hatte er nicht einmal mit ihr über seine Studien gesprochen? Kein einziges Buch hatte er ihr mitgebracht. Lily hatte ein paarmal vergeblich versucht, an das alte gemeinsame Interesse für die Medizin anzuknüpfen, aber er hatte das Gespräch jedes Mal abgewürgt. Einmal hatte er sie sogar gerügt mit Worten, die immer noch in ihren Ohren widerhallten. »Was geht dich die hohe Sterblichkeitsrate der Maori an? Verwende dein hübsches Köpfchen lieber dazu, mir ein gesundes Kind zu gebären.«
Immer wenn sie an diesen Satz dachte, schüttelte es sie. Genauso wie bei dem Gedanken, dass zur bevorstehenden Geburt der Arzt der Familie Newman geholt werden sollte. Lily konnte diesen grobschlächtigen Mann nicht ausstehen. Sonst hätte sie ihn längst aufgesucht, denn schon seit Tagen hegte sie die dunkle Ahnung, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmte. Es fühlte sich an, als würde ihr Leib platzen. Dennoch verspürte sie nicht mehr jene Bewegungen des Kindes, die sie vorher wochenlang nachts um den Schlaf gebracht hatten.
Schon seit Tagen kämpfte Lily mit sich. Sollte sie den Arzt aufsuchen oder ihrem Gefühl folgen und Doktor Ngata um Hilfe bitten?
Wie aus heiterem Himmel durchfuhr ein mörderischer Schmerz ihren Unterleib. Sie schrie so laut auf, dass das Dienstmädchen, eine junge Schottin, herbeieilte. »O Gott, ich hole den Doktor!«, schrie Una auf.
»Halt!«, rief Lily, während sie sich vor Schmerzen wand. »Bitte, hol Doktor Ngata! Er wohnt in der Princes Street an der Ecke Queens Street. Das rote Haus mit dem weißen Vorbau.«
Una blickte Lily scheu an. »Aber die Herrschaften haben doch gesagt, ich solle Doktor Claydon holen, wenn es so weit ist.«
»Ich sagte, Doktor Ngata und die Hebamme, wird’s bald!«, zischte Lily und ließ sich zu Boden sinken. Auf allen vieren kroch sie bis zu ihrem Bett und zog sich ächzend an den hölzernen Beinen empor. Sie atmete erleichtert auf, als sie in ihre weichen Kissen sinken konnte. Doch kaum dass sie lag, durchzuckte sie neuerlich ein stechender Schmerz, den sie nicht anders lindern konnte, als sich zusammenzukrümmen. Das wiederholte sich nun im Abstand von wenigen Minuten. Dazwischen betete sie, dass das Mädchen ihren Befehl ausgeführt hatte.
Ein kurzes Strahlen erhellte ihr Gesicht, als sie wie durch einen Nebel den dunklen Lockenkopf von Tamati Ngata erblickte.
»Es wird alles gut«, flüsterte er. Dann hielt er ihr ein Tuch mit übel riechender Flüssigkeit vor die Nase. Wider Willen atmete sie das scheußliche Zeug ein und wurde entsetzlich müde. Sie konnte nur noch einen flüchtigen Blick auf seine sorgenvolle Miene erhaschen, bis er ganz hinter einer Nebelwand verschwand. Ihr letzter Gedanke war: Mir kann nichts geschehen, wenn er bei mir ist. Er wird mir helfen.
Lily erwachte von lautem Gebrüll. Entsetzt riss sie die Augen auf. Wo war sie? Was war geschehen? Zuerst erblickte sie Doktor Claydon, der mit hochrotem Kopf Verfluchungen ausstieß. Dann hörte sie Babygeschrei und sah, wie Tamati Ngata auf seinen Armen ein winziges Wesen wiegte. Der Maori-Arzt sah glücklich aus.
»Wie kommen Sie Scharlatan dazu, das Kind von Misses Newman auf die Welt zu holen?«, geiferte ihn Doktor Claydon an.
»Werter Herr Kollege, ich bin von der Mutter gerufen worden, das Kind musste gedreht werden. Das haben wir getan.«
Er warf einer fremden Frau einen anerkennenden Blick zu. Lily mutmaßte, es sei die Hebamme, aber sie selbst brachte keinen Laut hervor. Ihr Mund war so trocken, dass sie das unangenehme Gefühl hatte, verdursten zu müssen.
»Ja, der Doktor hat es geschafft, er hat es gedreht. Es ist ein Wunder«, bekräftigte die Hebamme Tamati Ngatas Worte.
»Verdammt«, schnauzte Claydon. »Der Maori da hat ihr Chloroform gegeben. Unter dem Einfluss des Teufelszeugs kann keine normale Frau ein Kind gebären. Sie hätte sterben können.«
»Ich lebe aber«, bemühte sich Lily zu sagen, doch aus ihrem
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