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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
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nicht mit diesem Vorfall. Ich werde meinerseits Doktor Claydon bitten, Stillschweigen zu bewahren. Damit schaffen wir diese unangenehme Angelegenheit aus der Welt.«
      »Heißt das, ich darf Edward nicht sagen, wer das Leben seines Sohnes und auch meines gerettet hat, damit der Pfuscher nicht böse wird? Vater, das kannst du nicht von mir verlangen«, entgegnete Lily trotzig.
      »Ich denke schon, denn sonst müsste man ihm auch verraten, dass du, nachdem die Hebamme bereits gegangen war, über eine Viertelstunde allein mit dem dunkelhäutigen Arzt in deinem Schlafzimmer gewesen bist. Das schickt sich nicht. Kein weißer Arzt würde nach der Geburt so lange bei der frischgebackenen Mutter verweilen. Und du weißt doch, dass mein Sohn zur Eifersucht neigt. Ich erinnere dich nur an Weihnachten. Da hat Mister Gerald dir ein Kompliment gemacht, und der Mann ist neunzig. Mir ist Edwards Blick jedenfalls nicht entgangen. Dir vielleicht?«
      Lily blickte ihren Schwiegervater fassungslos an. »Aber... aber das ist Erpressung«, schnaubte sie schließlich voller Empörung.
      »Du hast die Wahl«, entgegnete Tomas Newman ungerührt. »Und außerdem würde ich ohnehin nicht erlauben, dass dieser Mann noch einmal unser Haus betritt. Überleg dir also gut, was du tust.«
      Lily sah ihrem Schwiegervater aus schreckensweiten Augen hinterher. Eine schmerzhafte Sehnsucht nach der Geborgenheit, die sie in der Gegenwart des Arztes empfunden hatte, überkam sie mit aller Macht. Ihr Herz schrie verzweifelt seinen Namen: Tamati.
     
     

Whangarei, Februar 1920
     
    Ben Schneider klopfte energisch gegen Matuis Haustür. Er bebte vor Zorn. Seit zwei Tagen kletterte er jeden Tag zur Spitze des Berges hinauf, damit man ihn draußen stehen ließ, aber heute würde er sich das nicht gefallen lassen. Der Bischof hatte zwar versucht, Vivians unmögliches Benehmen zu entschuldigen, aber das wollte er aus ihrem Mund hören.
      »Vivian, ich weiß, dass du da bist. Mach auf!«, brüllte er.
      Vivian kauerte hinter der Tür am Boden und hielt sich die Ohren zu. Sie wusste doch selbst nicht, was an jenem Abend in sie gefahren war. War es Bens missglückte Überraschung gewesen, die sie in die Flucht getrieben hatte, oder allein die Begegnung mit ihrem Vater? Seit sie die Geschichte von Peters Geburt kannte, sah sie zum ersten Mal das Menschliche in ihm. Ob er sie abgelehnt hatte, weil bei ihr die Maori-Anlagen so offensichtlich ans Licht gekommen waren? Das war die Frage, die sie seitdem quälte, aber sie konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen. Es war doch sein Blut, das er ihr vererbt hatte, auch wenn man es ihm nicht ansah.
      »Vivian, ich rühre mich nicht vom Fleck, bevor du mit mir geredet hast!«, schrie Ben. Lily ließ die Hände sinken. Es hatte keinen Zweck, sich die Ohren zu verstopfen.
      »Geh zu ihm«, riet ihr nun auch Matui, der sie die ganze Zeit von seinem Sessel aus beobachtet hatte. »Du kannst vor der Wahrheit nicht davonlaufen. Keiner kann das!«
      Sie drehte sich erstaunt zu ihm um. »Wenn ich nur wüsste, was ich will...«
      »Du musst es ihm sagen.«
      »Was denn?«
      Matui rollte die Augen. »Dass du einen anderen liebst.«
      Lily zuckte zusammen. »Aber wie kommst du auf so was? Ich werde Ben heiraten. Ich habe nur Panik bekommen, als da plötzlich der Bischof am Tisch saß und sich als Vater aufspielte. Und Ben hätte mich wenigstens vorwarnen können. Er weiß doch, wie ich zu meinem so genannten Vormund stehe.«
      »Du siehst am armen Peter, wohin es führt, wenn man vor der Wahrheit flieht. Willst du eine solch unglückliche Ehe führen wie ...« Er stockte.
      »Wie Lily, wolltest du sagen? Oder ist sie mit Edward glücklich geworden?«
      Matui hob die Schultern.
      »Erzählst du es mir, nachdem ich mit Ben gesprochen habe?«, fragte Vivian und sprang vom Boden auf. Sie fuhr sich noch einmal durchs Haar und öffnete die Tür.
      »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Wollen wir ein paar Schritte spazieren gehen?«
      »Ja, gern«, erwiderte er versöhnlich und blickte sie zärtlich an. Sein Zorn schien verflogen.
      An diesem Tag hingen dicke Wolken über dem Berg, aber es regnete nicht und war sehr warm, beinahe schwül. Eine Weile schlenderten sie wortlos nebeneinanderher zum Aussichtsplatz am Gipfel. Von hier aus konnten sie bis zum Meer blicken, aber auch über dem Wasser war alles grau in grau. Dieses triste Wetter passte zu

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