Der Schwur des Maori-Mädchens
gewünscht hätte.«
»Und was führt Sie zu mir?«
Er streckte ihr die Hand entgegen und sagte: »Ich wollte Sie einfach besuchen, weil ich in Mangawhai zu tun habe und zufällig hörte, dass Sie hier leben. Und darf ich Sie etwas Persönliches fragen? Man sagte mir, Ihr Nachname sei Ngata. Ist Ihr Mann Maori?«
Lily räusperte sich. Sie war sich nicht sicher, was dieser Mann wusste. Sie wollte ihn nicht belügen.
»Ich lebe mit Tamati Ngata bereits seit neun Jahren zusammen.«
»Sie sind nicht verheiratet mit ihm?«
»Entschuldigen Sie, aber Sie fragen ein wenig zu viel, Mister... äh ... wie war noch Ihr Name?«
»Matui, Sie können Matui zu mir sagen.«
»Sehen Sie, Matui, es gibt Dinge in meinem Leben, über die ich nicht gern rede.«
»Haben Sie Kinder?«
Lily zuckte zusammen. »Das ist eine dieser Fragen, die ich nicht besonders mag, aber ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich habe einen Sohn, doch der lebt in Dunedin bei seinen Großeltern.«
»Entschuldigen Sie, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber lebt er bei June Carrington?«
»June?«, wiederholte sie erschrocken. Obwohl er ein Fremder war und so direkte Fragen stellte, war sie innerlich bereit, ihm zu antworten. Er kam in guter Absicht. Das spürte sie ganz deutlich. »Nein, meine Mutter ist schon lange tot. Sie ist auf dem Schiff von Auckland nach Dunedin gestorben. Und mein Vater, falls Sie gleich auch noch danach fragen, der hat sich nach England davongemacht. Ohne meine Mutter und ...« Sie stockte. »Jetzt bin ich mit Fragen dran. Ripeka hat kurz vor ihrem Tod behauptet, meine leibliche Mutter sei eine Maori gewesen. Wissen Sie etwas darüber, Matui? So heißen Sie doch, nicht wahr?«
In Matuis Augen flackerte es nervös. »Ich ... also, ich habe ja nicht geahnt, dass Sie Bescheid wissen.«
»Dann ist es die Wahrheit.«
»Ihre Mutter war meine Schwester.«
»Oh«, entfuhr es Lily, bevor sie sich auf einen Stuhl fallen ließ.
»Ich bin damals gekommen, um Sie zu meinen Leuten zu holen, aber ich hatte im Norden noch etwas zu erledigen. Als ich nach Wanganui zurückkehrte, waren Sie verschwunden.«
»Und Sie sind sich ganz sicher ... ich meine, dass June nicht meine Mutter ist?«
»Ja, der Reverend hat Sie meiner Schwester fortgenommen und als Waisenkind ausgegeben.«
»Sie sollen mich fortgenommen haben - das kann ich mir nicht vorstellen. Meine Mutter ... ich meine, June war eine Seele von einem Menschen. Sie hätte niemals ein Kind gestohlen.«
»Sie war ahnungslos bis zu jenem Tag, als ich es ihr gesagt habe, damals in Wanganui. Ich habe ihr angedroht, Sie mit zu meinen Leuten zu nehmen, doch als ich Sie wenig später holen wollte, waren Sie fort. Die gute June wollte Sie wohl nicht mehr hergeben, was ich übrigens im Nachhinein sehr gut verstehen kann. Doch ich hatte mir geschworen, Sie eines Tages zu finden, und nun haben die Ahnen mir den Weg zu Ihnen gewiesen.«
»Aber mein Vater, der muss es doch gewusst haben«, bemerkte Lily fassungslos.
»Nein, seine Eltern hatten meine Schwester in einer Mission untergebracht, damit keiner Wind von der Schwangerschaft bekam, und ihren Sohn dann schnell mit June Hobsen verheiratet. Und Ihr Vater war so mit sich und seinem Saufen beschäftigt, der hat gar nichts gemerkt. Für ihn war meine Schwester nur ...« Matui stockte. Sollte er ihr die ganze Wahrheit sagen? Nein, er mochte diese Lily auf Anhieb. Er wollte ihr nicht unnötig wehtun. »... eine kleine Liebschaft, die er nicht ernst genommen hat«, ergänzte er rasch.
»Dann hat Ripeka also die Wahrheit gesagt. Meine Mutter war eine Maori.«
»Sie haben Makeres Augen.« Seine Stimme bekam einen zärtlichen Klang.
»Makere? So hieß meine Mutter?«
»Im Hause der Carringtons war sie Maggy.«
Lily fasste sich an den Kopf.
»Jetzt erinnere ich mich. Sie haben sich damals als Ziehbruder meines Vaters vorgestellt. Aber das heißt ja, dass mein Vater seine eigene Schwester geschwängert hat.«
Matui kämpfte immer noch mit sich. Eigentlich war er gekommen, um ihr die ganze dreckige Wahrheit zu sagen, aber nun hatte er Hemmungen, diese Frau, die er auf Anhieb ins Herz geschlossen hatte, damit zu belasten. In ihren Augen lag unter all der Freundlichkeit eine tiefe Traurigkeit. Das hatte er sofort gesehen. Nein, sie hatte es nicht verdient, mit dieser alten Sache konfrontiert zu werden. Im Gegenteil, er musste sie schützen. Das und nichts
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