Der Schwur
aber das ging von ihm aus, nicht von seinen Herrschern. Ich glaube, dass er die Macht in Chiarron übernommen hat und nun auch das restliche Land in seine Gewalt bringen will.«
»Das mag sein, aber –«
Da hielt Sonja es nicht länger aus und platzte heraus: »Was ist mit Veleria? Warum soll sie eine – eine Verräterin sein? Das glaube ich nicht!«
Schweigen antwortete ihr. Marus verzog finster das Gesicht, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Ganna sah bitter und unglücklich aus, und es dauerte eine Weile, bevor sie antwortete. »Man hat an Velerias Weisheit gezweifelt, weil sie ein Kind mit dem wertvollsten Besitz ihres Volkes fortschickte, um unseren Feinden ein Bündnis anzubieten. Sie … weigerte sich, ihre Absichten zu erklären, und ging fort. Seitdem –«
»Seitdem gilt sie in meinem Stamm als Verräterin«, sagte Marus mit Nachdruck. »Und ich werde dafür sorgen, dass es auch so bleibt! Durch ihre Unvorsichtigkeit wäre das Amulett dem Spürer beinahe in die Hände gefallen – ja, und auch durch deine, Ganna. Wie konntest du es diesem Kind überlassen, das du nicht einmal kanntest? Und was Asarié betrifft –«
»Du vergisst etwas, Marus«, sagte Ganna kalt. »Das Amulett und der Taithar haben Sonja ausgewählt, nicht ich, Veleria oder Asarié. Wir folgen einem Beschluss der Göttin.Wir maßen uns nicht an, ihn verstehen oder anzweifeln zu wollen!«
»Dann ist es wohl der Wille der Göttin, dass wir untergehen«, erwiderte Marus ebenso kalt.
»Selbst wenn es so wäre, hätten wir uns ihrem Willen zu unterwerfen. Aber so ist es nicht. Sie hat uns den Taithar und Sonja geschickt, um uns zu retten.«
Marus verzog das Gesicht, sagte aber nichts mehr.
Einen Moment lang herrschte wieder Schweigen. Dann seufzte Ganna tief und wandte sich an Sonja. »Da siehst du es. Wir brauchen Hilfe. Ich glaube, es wird deine Aufgabe sein, die Alten Völker für uns um Hilfe zu bitten. In den nächsten Tagen werden wir höher hinauf in die Berge ziehen und uns dort verschanzen. Dann musst du dich auf den Weg machen.«
»Aber –«, begann Sonja bestürzt.
»Du musst nicht allein gehen. Ich denke, es werden sich Begleiter für dich finden.« Lorin und Elri nickten eifrig.
»Aber ich –«
»Natürlich werden wir dich mit allem ausrüsten, und wir werden dir auch beibringen, mit einer Waffe umzugehen, damit du nicht völlig hilflos bist.«
Sonja sprang auf. »Aber ich kann nicht!«
Ganna schaute Sonja an, als hätte diese ihr vor die Füße gespuckt. «Was soll das heißen, Mädchen? Die Göttin hat dich erwählt –«
»Das kann ja sein! Aber was ist mit Melanie und Darian? Sind die euch ganz egal? Mir nicht! Ich muss sie suchen! Melanie ist meine beste Freundin! Ich lasse sie nicht im Stich!«
Ganna zögerte. Wölfe und Menschen starrten Sonja an, doch jetzt war ihr das völlig gleichgültig. »Ich hab getan,was ihr wolltet, aber es hat alles nichts gebracht! Ich bin zu Veleria gegangen und wollte ihr das Amulett zurückgeben, aber sie hat mich hinter Darian hergeschickt. Und dann klappte das nicht, und Asarié hat mich nach Chiarron geschickt, und das klappte auch nicht! Ich will das Amulett nicht mehr tragen, und ich will auch diese komischen Alten Völker nicht wecken! Ich will Melanie und Darian wiederfinden!«
Sie wartete nicht auf eine Antwort. Sie rannte am Feuer vorbei, duckte sich unter der Zeltklappe hindurch und stand draußen im eisigen Wind.
Gleich darauf kamen Lorin und Elri ihr nach.
»Du hast ganz schön Mut, den Rat der Jeravi so anzuschreien«, sagte Elri. »Ich glaube nicht, dass sich jemand schon mal so etwas getraut hat.«
»Lass mich doch in Ruhe!« Trotzdem erschrak Sonja. Die Jeravi? All diese Leute waren Anführer der Elarim? Sie hatte gedacht, es seien ganz gewöhnliche Nachbarn oder dergleichen. Ob sie jetzt sehr wütend waren?
»Gehen wir ins Zelt«, schlug Lorin vor. »Das da drüben. Wir müssen ja nicht unbedingt erfrieren, während wir reden.«
Widerwillig nickte Sonja. Sie hatte überhaupt keine Lust, sich zu verteidigen, aber hier draußen war es wirklich zu kalt.
Das Zelt, das Lorin ausgesucht hatte, war bis auf das Feuer und dicke Matten leer. Die drei setzten sich ans Feuer, und Sonja wartete auf die Vorwürfe – aber es kamen keine. Stattdessen sagte Elri nach einer Pause: »Wir werden Vorräte brauchen. Und gute Waffen.«
Lorin nickte. »Und zum Reiten? Birjak oder Sirinkim?«
»Die Birjaks sind zu groß, die Sirinkim zu schwach. Wir brauchen
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