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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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fließt immer weiter nach Süden«, fuhr Ganna fort. »Ungefähr eine Meile vor der Küste des Nebelmeeres verschwindet er in einer Höhle unter der Erde. Ich vermute, dass er ins Nebelmeer stürzt, aber sicher bin ich nicht. Wo Isarde und Idore leben, weiß ich nicht genau, aber dort am Stürzenden Fluss findest du die Mayakó. Die kannst du fragen.«
    »Und wer sind die Mayakó?«
    »Sie sind ein Volk von Jägern und Fischern. Für dich sehen sie vielleicht ungewohnt aus. Sie sind ganz schwarz und haben vier Arme. Es ist nicht ganz einfach, mit ihnen zu reden, aber das schaffst du schon. Zeig ihnen das Amulett, dann wissen sie, dass du ihnen nichts Böses antun willst.«
    »Na schön«, murmelte Sonja. »Hauptsache, ich finde Melanie und Darian wieder. Dürfen Elri und Lorin mitkommen?«
    »Ich werde sie nicht daran hindern.«
    »Und ihre Eltern? Haben die nichts dagegen?«
    Ganna zog leicht die Augenbrauen hoch. »Warum sollten sie? Elri und Lorin sind alt genug, um ihre Entscheidungen treffen zu können.«
    »Das sollte ich meinen Eltern mal sagen …«
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts.«
    Ganna lächelte. »Gut. Am besten redest du jetzt mit Elri und –«
    »Ich wollte eigentlich zu Nachtfrost.«
    »Ach so. Ja, natürlich. Dann kümmere ich mich jetzt um eure Vorräte …«
    »Und Pferde? Elri hat gesagt –«
    »Ja, auch um die Pferde.« Ganna legte ihr ganz kurz die Hand auf die Schulter und wandte sich dann ab. »Wir haben viel zu tun.«
    In diesem Gespräch hatte Sonja vieles begriffen, was ihr vorher nicht klar gewesen war. Die Nomaden brauchten ihre Hilfe, würden sie aber zu nichts zwingen. Dafür war sie ihnen dankbar – so brauchte sie kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie das tat, was sie unbedingt tun musste. Ganna hatte ihr einen brauchbaren Ausweg vorgeschlagen.
    Allmählich begriff sie auch, dass dieses Land bei Weitem nicht so leer und still war, wie sie zu Beginn gedacht hatte. Überall verbargen sich seltsame Wesen, selbst unter der Erde, sie witterten und lauschten und warteten. Und Sonja hatte durchaus gemerkt, dass Ganna ihren ursprünglichen Plan, die Alten Völker zu rufen, nicht aufgegeben hatte. Die Mayakó mussten eins von ihnen sein. Nun gut – da Sonja sowieso in ihre Nähe kommen würde, konnte sie Ganna auch den Gefallen tun und mit ihnen reden.
    Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass Ganna ihr etwas verschwiegen hatte. Etwas, das die Weißen Schwestern betraf. Bei dem Gedanken an diese beiden hatte sie ein ganz,ganz ungutes Gefühl, und sie wünschte, sie hätte Ganna noch einmal gefragt, ob … ob was? Sie wusste es selbst nicht genau.
    Grübelnd ging sie weiter, sah und hörte nichts mehr von ihrer Umgebung, bis ein leichter Stoß in den Rücken und ein Schnauben sie herumfahren ließen. Nachtfrost stand vor ihr. Seine schwarzen Augen blitzten, und er warf den Kopf hoch, mutwillig wie ein Fohlen. Ganz offensichtlich freute er sich, dass er sie überrascht hatte. Sonja fühlte sich sofort besser. »Da bist du ja!« Sie streichelte seinen schwarzen Hals und schob eine Hand unter die dichte, warme Mähne. Er beugte den Kopf zu ihr herunter, und sie berührte sanft seine Stirn über dem sternweißen Horn.
    »Ich habe mit Ganna gesprochen«, erzählte sie ihm. »Wir müssen die Weißen Schwestern finden … das sind zwei komische alte Frauen, die vielleicht wissen, wo Melanie und Darian sind. Glaubst du, Aruna hat etwas dagegen?«
    Er schnaubte leise und rieb sein Maul an ihrer Schulter.
    Ein nachtschwarzes Auge blickte sie sanft und ruhig an.
    Wir gehen zu ihnen, wenn du es willst. Du bist nicht nur die Erwählte; du wählst deinen Weg auch selbst.
    Überrascht ließ sie die Hand sinken; mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. »Heißt das, es ist in Ordnung?«
    Er schnaubte wieder und stupste sie mit dem Maul an.
    Was das hieß, verstand sie auch ohne Worte. Sie lächelte und streichelte ihn weiter.
    In der Nacht konnte sie lange nicht schlafen. Eingewickelt in Pelze und Wolldecken lag sie in Gannas Zelt und hörte dem Knistern und Knacken des herunterbrennenden Feuers zu, während der Wind seufzend über das Zeltdachstrich. Draußen knirschte der Schnee, wenn ein Wachtposten vorbeistapfte, und hin und wieder ertönte das tiefe Brummen eines Birjaks. Einmal hörte sie in weiter Ferne das Heulen von Wölfen. Ob das die Tesca waren? Wie fühlte es sich wohl an, halb Wolf und halb Mensch zu sein und nachts über die Steppe zu streifen? So viele seltsame Wesen gab es

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