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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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Auf jeden Fall hatte sie keine Ahnung, was es bedeutete.
    Sonja mochte keine Wölfe, und das verdankte sie ihrer Schwester Corinna, die sich für die häufige Verpflichtung zum Babysitten gerächt hatte, indem sie ihren beiden jüngeren Geschwistern Horrorgeschichten erzählte. In diesen Geschichten wimmelte es von Werwölfen und Vampiren, die einander blutige Schlachten lieferten und dazwischen nur Pause machten, um sich mit frischem Kinderblut zu stärken. Erst als die Eltern dahinterkamen, warum Sonja und Paul jede Nacht heulend im Schlafzimmer auftauchten, fanden diese »Gutenachtgeschichten« ein Ende, aber sie wirkten noch lange nach.
    Sonjas erster Impuls war, das Schmuckstück sofort wegzuwerfen – am besten geradewegs in den Abgrund. Aber dann überlegte sie es sich anders und hängte es sich um den Hals. Bestimmt hatte jemand es verloren und würde sich freuen, wenn er es zurückbekam.
    Da das nun geklärt war, konnte sie sich dringenderen Problemen zuwenden. Sie stand auf und merkte erstaunt, dass ihre Beine sie wieder trugen.
    Nachtfrost stand still neben ihr. Er stöhnte und zitterte zwar nicht mehr, aber der ungeschickte Notverband um sein rechtes Bein war blutdurchtränkt, und Sonja wurde klar, dass sie sich vernünftig um die Wunde kümmern musste. Sie musste Wasser finden; am besten einen Bach oder einen Teich, da es hier offenbar keine Häuser in der Nähe gab, deren Bewohner sie um Wasser und Verbandszeug bitten konnte. Der Gedanke an Wasser machte ihr auch klar, wie hungrig und durstig sie war. Irgendwie musste sie auch etwas zu essen auftreiben. Sie stand auf und warf einen ängstlichen Blick zu den riesigen Büffeln – oder was immer sie nun waren – hinüber, aber die Kolosse beachteten sie gar nicht und grasten einfach weiter. Die Herde hatte sich schon ein gutes Stück von ihr und Nachtfrost entfernt. Entweder hatten sie sie gar nicht bemerkt, oder sie fanden es völlig normal, dass schwarzsilberne Einhörner und verschreckte Mädchen plötzlich mitten zwischen ihnen auftauchten.
    Jetzt erst merkte sie, dass ihr Arm wehtat. Und es war warm; viel zu warm für Regenjacke und Pullover. Der Himmel war inzwischen blau und wolkenlos, das Gras voller Blumen, die sie nicht kannte. Offenbar war sie auch in eine andere Zeit gereist: hier war ganz deutlich noch Sommer. Sie zog die Regenjacke aus, aber das nützte nicht viel.
    »Wir müssen Wasser finden«, erklärte sie dem Fabelwesen an ihrer Seite. Es schnaubte, und als sie entschlossen losmarschierte – weg von den Büffelmonstern –, folgte es ihr zwar hinkend, aber bereitwillig.
    Da hörte sie einen Ruf.
    Es war ein lang gezogenes Wort oder mehrere Wörter, die sie nicht verstehen konnte, und es kam aus der Richtung der Riesenbüffel. Eine helle, menschliche Stimme, aberSonja konnte nicht erkennen, ob sie einem Mädchen, einer Frau oder einem Jungen gehörte. Nachtfrost blieb abrupt stehen, hob den Kopf und blickte zu den Büffeln hin.
    Eins der Tiere kam auf sie zu. Die sechs Beine bewegten sich in einem gemächlichen Schlendergang, aber trotzdem zielstrebig vorwärts. Das Tier war so groß, dass selbst Nachtfrost dagegen zierlich wirkte, und Sonja, die mit ihren zwölf Jahren noch immer einen Kopf kleiner war als ihre Schwester Corinna, fühlte sich wie ein Zwerg. Dieses Vieh konnte über sie hinwegtrampeln, ohne sie auch nur zu bemerken! Unwillkürlich griff sie nach der silbernen Mähne. Nachtfrost schnaubte und dann wurde ihr plötzlich schwindlig. Als sie wieder klar sehen konnte, saß sie erneut auf dem schwarzen Rücken, ohne zu wissen, wie sie hinaufgekommen war. Instinktiv klammerte sie sich fest. Aber diesmal folgte kein wilder Galopp. Nachtfrost hob den Kopf und wieherte dem riesigen Tier entgegen; es klang wie eine Herausforderung.
    »Eliu Taithar Elarim!«, kam ein Ruf zurück. Verblüfft schaute Sonja genauer hin. Da saß jemand auf dem Rücken des Tieres!

D
ie Elarim
    Es war ein Mädchen etwa in Sonjas Alter. Sie war sehr dünn und hatte ihre langen dunkelbraunen Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr über die Schulter nach vorne hing. Sie trug ein sandfarbenes Hemd und eine Hose, die aus hellbraunem Wildleder zu bestehen schien. Ihr Gesicht war schmal, mit hohen Wangenknochen und tief liegenden, seltsam blassen Augen. Das Seltsamste an ihr war aber ihre Hautfarbe – ein helles Braun, das einen leichten Grauschimmer hatte, als läge eine Schicht Staub darauf. An ihrem Gürtel trug sie einen Lederbeutel und ein langes,

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