Der Schwur
er. »Nebenherlaufen kann ich jedenfalls nicht.«
»Es tut mir leid«, murmelte sie.
»Ach was! Es ist ja nicht deine Schuld! Wahrscheinlich hast du das Beste getan, was in dem Moment zu tun war.«
»Aber ich kann doch nicht einfach nach Chiarron reiten! Sie erwarten doch dich! Die lassen mich gar nicht rein!«
»O doch, das werden sie. Falls Nachtfrost mich mitnimmt, gehen wir zusammen. Falls nicht, gebe ich dir ein Erkennungszeichen. Damit kommst du auf jeden Fall durch das Tor.«
»Aber zuerst müssen wir Nachtfrost gefunden haben«, warf Melanie ein. »Kannst du ihn nicht irgendwie aufspüren? Durch Magie oder so?«
Darian schüttelte den Kopf. »Ich hab’s schon versucht. Entweder ist die Magie hier schwächer als zu Hause, oder Nachtfrost ist zu weit weg. Ich bin hier halb taub und halb blind – es gibt keine Verbindung zur Erde. Eure Welt fühlt sich tot an und es gibt keine Geister. Als hätte sich die Göttin aus allem zurückgezogen.« Er verzog ein wenig das Gesicht. »Das ist kein gutes Gefühl. Es macht mir Angst.«
Sonja verstand nicht so recht, was er damit meinte, und etwas anderes war ihr jetzt auch wichtiger. »Du meinst, in eurer Welt könntest du ihn finden?«
»Ich könnte zumindest die ungefähre Richtung herausfinden. Aber dazu bräuchte ich das Amulett. Und da ich es nicht mehr anfassen kann, hilft uns das nicht weiter.«
»Was könnte das Amulett denn tun?«, fragte Melanie.
»Es könnte mir sagen, wo ich suchen muss.« Nachdenklich blickte Darian Sonja an. »Du könntest es selbst versuchen.«
»Ich?« Sonja musste lachen. »Hör mal, hier ist es nicht wie in Parva! Hier gibt es keine Magie!«
Er blieb ganz ruhig. »Dann erklär mir mal, warum alle außer dir sich die Finger verbrennen, wenn sie das Amulett anfassen wollen. Diese Magie ist auf jeden Fall noch da. Also müssten wir sie auch nutzen können.«
Sonja starrte ihn an. »Das ist nicht dein Ernst. Ich soll irgendwelche Magie – äh – zaubern können?«
»Versuche es, dann finden wir es heraus.«
Sie schaute zu Melanie hin, aber die Freundin zuckte nur mit den Schultern. »Es ist nicht verrückter als alles andere.«
»Also gut.« Sonja fischte das Amulett wieder aus der Tasche und schaute es ein wenig misstrauisch an. »Und was soll ich tun?«
»Nimm es in die Hand, halte es hoch und konzentriere dich. Denk an –«
»Nachtfrost!«
»Genau.«
Sonja tat es. Sie hielt das Amulett hoch und kam sich dabei unglaublich dämlich vor. So etwas konnte doch gar nicht funktionieren, das war idiotisch. »Und jetzt?«
»Dreh dich langsam im Kreis.«
»Hör mal, wenn du dich über mich lustig machen willst –«
»Nein«, sagte er ungeduldig. »Stell dir vor, du stehst mit geschlossenen Augen draußen. Da spürst du doch auch, wo die Sonne ist, oder? Das hier ist genauso.«
Na gut, diesen Vergleich konnte sie sogar verstehen. Aber trotzdem … »Ich glaube aber doch gar nicht an Magie!«
»Das ist der Magie ziemlich egal. Wenn es klappt, wirst du spüren oder sehen, wo Nachtfrost ist. Ganz einfach.«
Ganz einfach … na toll. Es blieb Sonja wohl wirklich nichts anderes übrig. Sie fing an, sich langsam zu drehen, wobei sie sich reichlich albern vorkam. Schließlich wusste jeder, dass es keine Magie gab. Jedenfalls nicht hier. Und schon gar nicht in Sonjas Zimmer.
»Klappt nicht«, sagte Melanie, noch bevor Sonja sich einmal ganz herumgedreht hatte. »Okay. Dann sollten wir –«
»Warte doch!«, gab Darian scharf zurück. »Sonja, versuch es noch einmal. Denk nicht darüber nach, wie es aussehenkönnte! Denk an das, was wichtig ist! Du willst Nachtfrost doch finden, oder nicht?«
»Natürlich will ich ihn finden!« Sie öffnete die Augen und schaute Darian empört an.
»Dann tu auch etwas dafür! Stell dir vor, wie er aussieht! Das kannst du doch, oder hast du es schon vergessen?«
»Nein, habe ich nicht!« Allein der Gedanke, sie könnte irgendetwas vergessen, was mit Nachtfrost zu tun hatte, machte Sonja wütend. Aber vielleicht hatte er recht und sie ließ sich zu leicht ablenken. »Also gut. Melanie, du darfst aber nicht kichern oder so etwas.«
»Keine Sorge. Wenn du einen Drehwurm kriegst, fange ich dich auf.«
»So geht das nicht«, sagte Darian, stand auf und stellte sich gerade vor Sonja hin. Eindringlich schaute er ihr in die Augen. »Sonja, das ist etwas, das du entscheiden musst. Es ist völlig gleichgültig, ob Melanie kichert oder nicht. Es ist egal, ob das hier deine Schlafkammer ist oder ein
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