Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
ganz nahe daran, ein verwaister Vater zu werden, und daß ich es nicht wurde, habe ich nur Old Death zu verdanken.«
»Wieso, Master? Ihr macht mich außerordentlich neugierig. Hat dieser Pfadfinder etwa ein Streifcorps herbei geführt, um die Gefangenen zu befreien?«
»Da wäre er zu spät gekommen, denn bevor solche Hilfe erscheinen konnte, wäre der Mord geschehen gewesen. Nein, er fing es als ächter, richtiger und verwegener Westmann an. Er holte die Gefangenen ganz allein heraus.«
»Alle Wetter! Das wäre ein Streich!«
»Und was für einer! Er schlich sich in das Lager, auf dem Bauche, wie man Indianer beschleicht, eine List, die ihm durch einen Regen, welcher an jenem Abende in Strömen niederfiel und die Feuer auslöschte, erleichtert wurde. Daß dabei einige Vorposten sein Messer gefühlt haben, versteht sich ganz von selbst. Die Sezessionisten lagen in einer Farm, ein ganzes Bataillon. Die Offiziere hatten natürlich das Wohnhaus für sich behalten, und die Truppen waren untergebracht worden, wie es eben ging; die Gefangenen aber, über zwanzig an der Zahl, hatte man in die Zuckerpresse eingeschlossen. Dort wurden sie von vier Posten bewacht, je einer an jeder Seite des Gebäudes. Am nächsten Morgen sollten die armen Teufel füsilirt werden. Des Nachts, kurz nach der Ablösung der Posten, hörten sie ein außergewöhnliches Geräusch über sich, auf dem Dache, das nicht vom aufprasselnden Regen herrührte. Sie lauschten. Da krachte es plötzlich. Das aus langen, aus Weichholz geschleißten Schindeln bestehende Dach war aufgesprengt worden. Irgend Jemand arbeitete das so entstandene Loch weiter, bis der Regen in die Presse fiel. Dann blieb es wohl über zehn Minuten lang still. Nach dieser Zeit aber wurde ein junger Baumstamm, an welchem sich noch die Aststummeln befanden, und der stark genug war, einen Menschen zu tragen, herabgelassen. An demselben stiegen die Gefangenen auf das Dach des niedrigen Gebäudes und von demselben zur Erde herab. Dort sahen sie die vier Posten, welche wohl nicht blos geschlafen haben werden, regungslos liegen und nahmen ihnen augenblicklich die Waffen. Der Retter brachte die Befreiten mit großer Schlauheit aus dem Bereiche des Lagers und auf den nach der Grenze führenden Weg, den sie alle kannten. Erst hier erfuhren sie, daß es Old Death, der Pfadfinder sei, der sein Leben gewagt hatte, um ihnen das ihrige zu erhalten.«
»Ist er mit ihnen gegangen?« fragte Old Death.
»Nein. Er sagte, er habe noch Wichtiges zu thun, und eilte fort, in die finstere, regnerische Nacht hinein, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu bedanken oder ihn sich anzusehen. Die Nacht war so dunkel, daß man das Gesicht eines Menschen nicht erkennen konnte. Will hat nichts bemerken können als nur die lange, hagere Gestalt. Aber gesprochen hat er mit ihm und weiß noch heute jedes Wort, welches der wackere Mann zu ihm sagte. Käme Old Death uns einmal in die Hände, so sollte er erfahren, daß wir Deutsche dankbare Menschen sind.«
»Das wird er wohl auch ohnedies wissen. Ich calculire, daß Euer Sohn nicht der erste Deutsche ist, den dieser Mann getroffen hat. Aber, Sir, kennt Ihr vielleicht hier einen Master Lange aus Missouri?«
Der Andere horchte auf.
»Lange?« fragte er. »Warum frägt Ihr nach ihm?«
»Ich fürchte, daß wir hier im ›Geier‹ keinen Platz mehr finden, und erkundigte mich bei dem Commissioner am Flusse nach einem Manne, der uns vielleicht ein Nachtlager geben werde. Er nannte uns Master Lange und rieth uns, diesem zu sagen, daß der Commissioner uns zu ihm schicke. Dabei meinte er, daß wir den Gesuchten hier finden würden.«
Der ältere Mann richtete nochmals einen prüfenden Blick auf uns und sagte dann: »Da hat er sehr Recht gehabt, Sir, denn ich selbst bin Master Lange. Da der Commissioner Euch sendet, und ich Euch für ehrliche Leute halte, so seid Ihr mir willkommen, und ich will hoffen, daß ich mich nicht etwa in Euch täusche. Wer ist denn da Euer Gefährte, der noch gar kein Wort gesprochen hat?«
»Ein Landsmann von Euch, ein Sachse, gar ein studirter, der herüber gekommen ist, um hier sein Glück zu machen.«
»O wehe! Die guten Leute da drüben denken, die gebratenen Tauben fliegen ihnen nur so in den Mund. Ich sage Euch, Sir, daß man hier hüben viel, viel härter arbeiten und bedeutend mehr Täuschungen erfahren muß, um es zu Etwas zu bringen, als drüben. Doch nichts für ungut! Ich wünsche Euch Erfolg und heiße Euch willkommen.«
Er gab nun
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