Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Häuptling, sondern seinen und Deinen Knaben nachgeritten? Befinden sie sich in Gefahr?«
»In der größten, wenn es wahr ist, daß die Sioux Ogallalah hier kommen werden. Uff, uff! Mein Mund sollte das Geheimnis dieses Kriegszuges nicht erwähnen, und doch muß ich davon sprechen, wenn ich meine Söhne retten will! Die Krieger der Upsaroka’s erfuhren, daß die Feinde gekommen seien, uns anzugreifen. Uamduschka sapa sandte Kundschafter aus und brach nach deren Rückkehr mit zweimal hundert Männern auf, um den Sioux zuvorzukommen. Ich erfuhr von ihm, daß er den Weg einschlagen wolle, auf welchem ich mich jetzt befinde.«
»So hat er unterwegs aus irgend einem Grunde diesen seinen Plan geändert. Sind ihm etwa Deine Söhne heimlich nachgeritten?«
»Mein großer, weißer Bruder hat es erraten.«
»Wie alt sind sie! Besitzen sie schon Namen?«
»Sie zählen erst vierzehn und fünfzehn Sonnen; 5 aber in ihren Herzen wohnt der Mut, und ihre Seelen sehnen sich darnach, schon jetzt unter die Krieger aufgenommen zu werden. Darum sind sie dem Häuptling einen Tag nach seinem Aufbruche gefolgt. Als ich des Morgens erwachte, waren sie fort; ihre Pferde fehlten; ich suchte und fand ihre Spur, welche mir ihr Vorhaben verriet.«
»Warum bist Du selbst ihnen gefolgt? Warum hast Du keinen Mann gesandt?«
Wir wollten eben weiter reiten, als da plötzlich eine Indianerin zu Pferde erschien.
»Weil der Häuptling im Zorne die Unerbittlichkeit des grauen Bären besitzt. Vor seinem Grimme über seinen Ungehorsam kann kein Krieger sondern nur ich sie retten. Ich habe ein Stück Fleisch zum essen mitgenommen und mich aufs Pferd geworfen, ohne die Zeit zu verlieren, welche von den Bleichgesichtern eine Minute genannt wird; ich bin bis hierher auf ihrer Spur geblieben und habe fortwährend zum großen Manitou und zu seinem Sohne gebetet, sie noch heute einholen zu können; da traf ich Winnetou und Old Shatterhand, um zu hören, daß meine Söhne nicht ihrem Vater nach, sondern den Feinden entgegengeritten sind. Ich muß fort; ich muß ihnen folgen. Vielleicht gelingt es mir noch, sie zu warnen!«
Sie ritt, von ihrer Angst getrieben, weiter. Ein Blick zwischen Winnetou und mir genügte, uns zu verständigen; wir folgten der Squaw. Ich trieb mein Pferd an die Seite des ihrigen und sagte:
»Wenn es richtig ist, was ich vermute, nämlich daß Deine Söhne auf die Sioux Ogallalah treffen werden, so kannst Du sie nicht retten; eine Squaw bringt das nicht fertig; dazu gehören Krieger. Kehre Du also um, und reite heim! Wir werden an Deiner Stelle der Spur folgen und uns der Knaben annehmen.«
»Uff!« antwortete sie. »Eine Mutter sollte nichts zur Rettung ihrer Kinder thun können? Hat Old Shatterhand noch keine Mutter gesehen, welche ihre Kinder liebt?«
»
Well!
Ich will Dich also nicht auffordern, umzukehren; aber ich bitte Dich, uns an Deiner Stelle handeln zu lassen. Du würdest ihnen keine Hülfe bringen, sondern nur Dich selbst auch dem Verderben überliefern; ich wiederhole das, obgleich Du es nicht glaubst.«
»So ist es wirklich wahr, daß Winnetou und Old Shatterhand mit mir reiten wollen?«
»Ja.«
»Aber die Ogallalah werden Euch am Marterpfahle töten, wenn Ihr ihnen in die Hände fallt!«
»Sie haben das schon oft thun wollen, es aber doch nicht fertig gebracht.«
»Ihr wagt dennoch Euer Leben! Für zwei Knaben eines Stammes, dessen Krieger Euch töten wollten! Meine berühmten Brüder mögen mich verlassen und ihren frühern Weg fortsetzen!«
»Das thun wir nicht. Deine Kinder befinden sich in Gefahr, und Dir droht auch der Tod. Wir begleiten Dich.«
»Uff! So ist es also doch wahr, was die Mutter meiner Mutter stets behauptet hat!«
»Was?«
»Daß ein Christ, wenn er wirklich und von Herzen an den Sohn des guten Manitou glaubt, sogar sein Leben wagt, um dasjenige eines Feindes zu retten. Nicht wahr, das ist die Liebe, welche dort oben wohnt, wo die Sterne stehen?«
»Es ist die Liebe, welche vom Himmel kommt und im Herzen jedes guten Menschen wohnt, auch in dem Deinigen, denn Du bist ja auch bereit, für Deine Kinder in den Tod zu gehen.«
»Mein weißer Bruder sagt Worte der Wahrheit; das fühle ich in meinem Innern. Wenn ich wieder bete, werde ich auch für ihn beten. Jetzt kann ich es nicht, denn meine Seele kennt nichts als nur die Angst um meine Söhne. Glaubst Du, daß sie noch zu retten sind?«
»Ja. Es ist ja noch gar nicht gewiß, daß sie den Sioux in die Hände fallen, und selbst
Weitere Kostenlose Bücher