Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Beaufsichtigung bei uns zurück. Er brannte ein Feuer an und setzte sich an demselben nieder. Als ich versuchte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, teilte er mir mit, daß er nicht mit uns sprechen dürfe; uns aber sei das Reden nicht verboten, falls wir uns nicht einer Sprache bedienten, welche er nicht verstehe.
So lagen wir über eine Stunde lang in Erwartung dessen, was nun kommen werde. Es gab hier eine Nezaneh. Wurde der Stamm von einer Frau regiert? Sonderbar! Wir waren natürlich neugierig, zu erfahren, unter welchen Bedingungen man uns die Freiheit wiedergeben wolle. Die Höhe des Lösegeldes war uns sehr gleichgültig, denn wir bezahlten ja doch nichts!
Die Schwierigkeit bestand nur darin, auf welche Weise wir vor der Flucht, die sehr leicht zu bewerkstelligen war, zu unserm Eigentum kommen wollten; denn daß wir auf nichts verzichten würden, das verstand sich ganz von selbst.
Da wurde die aus starkem Flechtwerk bestehende Thür geöffnet, und es trat eine Frau herein. Unser Wächter stand sofort auf, verneigte sich vor ihr und verließ das Innere der Hütte. In seiner jedenfalls nicht vorgeschriebenen, sondern freiwilligen Verbeugung sprach sich eine so wahre, aufrichtige Verehrung aus, daß diese Frau keine gewöhnliche sein konnte. Sie blieb, als er fort war, an der Thür stehen und betrachtete uns prüfenden Blickes. Ihre Haltung war dabei stolz und selbstbewußt, ohne dabei beleidigend zu sein. Ihr Haupt war unbedeckt; aber die langen, starken Zöpfe des sehr vollen, schneeweißen Haares bildeten, hoch emporgewunden, eine Kopfbedeckung, um welche sie gewiß manche junge Europäerin beneidet hätte. Der Farbe dieses Haares nach mußte sie alt sein; aber in ihrem vollen, jetzt noch schönen Angesichte war keine einzige Falte zu bemerken und in ihren kühn, aber doch weiblich mild geschnittenen Zügen lag eine Energie, welche der Mensch nur im jugendlichen Alter zu besitzen pflegt. Auch der Hals war unbedeckt, und kein Bildhauer hätte einen Tadel an ihm finden können. Ein dunkelblaues, langes, mantelähnliches Gewand, in dem die eine Hand verborgen war, bedeckte ihre hohe Gestalt; die andere Hand, welche es in Falten hielt, war voll und weiß, so weiß, daß ich darüber staunte. Ihre dunklen Augen hatten einen eigentümlichen, wie aus der Tiefe kommenden Glanz, und ihre Stimme besaß einen wohlklingenden Alt, als sie nun die Worte an uns richtete:
»Allah hat Euch in unsere Hand gegeben, und ich komme zu fragen, wer Ihr seid. Meine Krieger haben unterlassen, diese Frage zu thun, weil doch ich es bin, die zu entscheiden hat.«
»So bist Du die Nezaneh?« erkundigte sich Halef.
»Ja.«
»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, uns zu überfallen und auszurauben! Was haben wir Euch gethan? Weißt Du, was der Kuran von den Dieben, Räubern und Mördern sagt? Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!«
Sie machte mit der Hand eine unendlich wegwerfende Bewegung und antwortete:
»Ihr habt es Euerm Schah zu verdanken, Euerm Schah und seinen Dienern, welche nichts als Sklaven sind. Diese haben sich an den Kriegern unseres Stammes vergriffen; auch mein Sohn Kelat und mein Enkel Scherga sind fortgeführt worden nach Kirmanschah, um Soldaten zu sein, solange sie leben; sie dürfen niemals zu mir wiederkehren, und darum ist Feindschaft zwischen mir und ihren Peinigern, zwischen uns und Euch.«
»Uns? Was gehen uns Eure Händel an? Was haben wir mit Deinem Sohne und Deinem Enkel zu schaffen? Wie kannst Du überhaupt schon einen Enkel haben? Du bist dazu noch viel zu jung.«
»Die Jahre meines Lebens sind vor Deinen Augen verborgen. Wisse, daß mein Enkel auch schon einen Sohn besitzt, der also mein Urenkel ist!«
»Maschallah! Es scheint, daß Du die Mutter, Großmutter, Ahne, Muhme und Ur-Urtante Deines ganzen Stammes bist! Wo nimmst Du die Jugend her, die noch in Deinem Angesichte wohnt?«
»Allah hat sie mir gegeben und erhalten. Aber warum sprichst nur Du? Warum schweigt Dein Gefährte? Bist Du der Vornehmere von Euch beiden?«
»Bei uns ist einer so vornehm wie der andere, denn wir sind berühmte Leute. Ich bin der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar und heiße Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«
»So bist Du kein Adschemi, 23 kein Schiit?«
»Nein.«
»Das verschlimmert Eure Lage, anstatt sie zu verbessern. Ich habe Deinen langen Namen noch nie gehört; aber die Haddedihn sind Feinde mehrerer Kurdenstämme, welche wir Freunde
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