Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
nennen. Ich werde also das Lösegeld, welches Ihr zu zahlen habt, verdoppeln.«
»Deine Lippen fließen über von Freundlichkeit und Güte gegen uns! Wieviel forderst Du?«
»Fünftausend Tuman 24 für Euch beide.«
»Bloß?! Ich hätte nicht geglaubt, daß wir so wenig wert wären.«
»Gut, so zahlt Ihr zehntausend!«
»Auch das ist noch viel zu wenig!«
Da blitzte sie ihn zornig an: »Willst Du Scherz mit mir treiben? Hüte Dich! Ich bemühe mich, über meinen Stamm ein Regiment der Liebe zu führen und auch gegen Fremde mild zu handeln; aber ich kann auch streng, sehr streng sein!«
»Ich spreche im Ernste und will Dir aufrichtig sagen: Wir beide besitzen einen so hohen Wert, daß ihn kein Mensch bezahlen kann, auch wir selbst nicht; darum werdet Ihr nichts, gar nichts bekommen!«
»Ihr bekommt die Freiheit nicht eher wieder, als bis Ihr bezahlt, was ich gefordert habe!«
»So behaltet uns in Allahs Namen! Es gefällt uns ja ganz gut bei Euch.«
»Wenn Ihr nichts zu essen bekommt, sondern hungern müßt, wird es Euch wohl weniger gefallen!«
»Habe da keine Sorge um uns! Wir hungern, solange es uns beliebt, länger aber keinen Augenblick!«
»Du scheinst an Flucht zu denken. Schlage Dir das aus dem Sinn! Wer sich in unsern Händen befindet, der kommt nur mit meiner Erlaubnis wieder los. Wer ist Dein Gefährte?«
»Das ist der in der ganzen Welt berühmte Hadschi und Emir Kara Ben Nemsi Effendi.«
»Auch seinen Namen habe ich noch nie gehört; er kann also nicht so sehr berühmt sein, wie Du sagst. Zu welchem Stamme gehört er?«
»Sein Name Ben Nemsi muß Dir doch sagen, daß seine Heimat in dem fernen Dschermanistan 25 liegt.«
»Wohnt dort das Volk, welches Napulyun Sivum 26 besiegt und vom Throne gestoßen hat?«
»Ja.«
»So ist er doch wohl kein Moslem, sondern ein Christ?«
»Ja.«
»Das ist noch viel schlimmer für Euch, denn ich hasse die Christen. Er schämt sich jedenfalls auch, einer zu sein, denn er wagt es nicht, mit mir zu sprechen!«
Da kam sie aber bei meinem Hadschi an den unrechten Mann. Er duldete nie, daß ich beleidigt wurde, und fiel auch jetzt schnell und zornig ein:
»Höre, Weib, diese Behauptung ist die allerdümmste, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe! Dieser Emir Kara Ben Nemsi ist ein unvergleichlicher Fürst des Geistes und des Körpers nicht nur in seinem Vaterlande, sondern in allen Ländern des Erdbodens. Er kennt die Völker aller Weltgegenden und spricht ihre Sprachen; er hat den Löwen getötet und den Elephanten vernichtet; seine Faust streckt alle Feinde siegreich nieder, und alle Kaiser, Könige und sonstigen Herrscher sind froh, wenn sie mit ihm reden dürfen. Wer und was aber bist denn Du? Ein Weib, eine Anführerin von Spitzbuben, eine räuberische Gesindelmutter, welche Geld von uns erpressen will. Wenn er nicht mit Dir spricht, so geschieht das nicht etwa aus Furcht, sondern weil er viel zu stolz ist, einer sollen Landstreicherin seine von Allah gesegnete Stimme hören zu lassen!«
Sie blieb bei dieser Beleidigung äußerlich ruhig, antwortete aber mit erhöhter Stimme: »Zur Strafe für diese Deine Worte werdet Ihr uns nun zwanzigtausend Tuman Lösegeld bezahlen müssen! Du nennst uns Gesindel und Spitzbuben; aber es gibt kein verächtlicheres Gesindel und keine größeren Diebe, als gerade die Christen sind!«
Da richtete ich mich trotz meiner Fesseln in sitzende Stellung auf und sagte: »Da hast Du die größte Lüge Deines Lebens gesagt. Beweise mir die Wahrheit dieser Behauptung!«
Sie trat bei meinem scharfen Tone einen Schritt zurück, dann aber lächelnd zwei wieder vor und antwortete:
»Du bist also doch nicht ganz stumm. Du würdigest mich sogar einer Antwort! Lüge nennst Du es? Ich habe die Wahrheit gesprochen! Sage mir, sind die Russen, die Engländer, die Griechen, die Armenier, die Missionäre, welche Ihr uns sendet, Christen?«
»Sie sind es.«
»So hast Du die Wahrheit meiner Behauptung bereits zugegeben. Wer lauert wie ein Raubtier an der Grenze Persiens, um es zu verschlingen? Der Engländer, der Russe! Wer hat nie an seinem Lande genug, sondern will immer mehr Länder und Völker unter seine Herrschaft bekommen? Der Christ! Wer ist der listigste Gauner, der gewissensloseste Betrüger des Orientes? Der griechische und der armenische Christ! Wer sendet seine sogenannten ›Boten der Liebe‹ aus, um ihnen dann das Schwert, die Kanonen, hundert Krankheiten, den Eigennutz, den Betrug, die Wortbrüchigkeit, den
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