Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Zelten liegen mögen, so ist doch immerhin anzunehmen, daß noch welche in der Gegend umherschweifen.«
»Meine Brüder mögen warten,« meinte der Apache. »Winnetou wird einen Ort suchen, wo er sich mit den Freunden verbergen kann.«
Er verschwand unter den Bäumen und kehrte erst nach längerer Zeit zurück. Dann führte er uns seitwärts längs des Höhenrückens hin auf eine Stelle zu, an der das Unterholz so dicht war, daß wir es kaum zu durchdringen vermochten. Im Innern dieses Dickichts war genug Spielraum für uns und unsere Pferde, welche wir anbanden statt sie anzuhobbeln, während der Apache zurückkehrte, um unsere Spuren unbemerkbar zu machen.
Hier lagen wir bis zum dunklen Abende im tiefen, duftenden Waldgrase, jeden Augenblick bereit, beim geringsten verdächtigen Geräusch aufzuspringen und den Pferden die Nasen zu verschließen, damit ihr Schnauben uns nicht verrathen könne. Als es vollständig finster war, schlich sich Winnetou davon und kehrte bald mit der Nachricht zurück, daß man unten einige Feuer angebrannt habe.
»Diese Menschen fühlen sich sehr sicher,« sagte Fred. »Hihihihi, wenn sie wüßten, daß wir ihnen so nahe sind!«
»Daß sie verfolgt werden, können sie sich denken,« antwortete ich. »Wenn sie sich also heut noch sicher fühlen, so kann dies nur daher rühren, daß sie überzeugt sind, daß die Stationsleute noch nicht hier sein können. Daraus möchte ich schließen, daß sie morgen aufbrechen werden. Wir müssen versuchen, Etwas zu erfahren.«
»Winnetou wird gehen!« sagte der Apache.
»Ich gehe mit,« meinte ich. »Fred mag bei den Pferden bleiben. Die Gewehre lassen wir hier; sie würden uns nur im Wege sein. Messer und Tomahawk sind genug, und im äußersten Nothfalle haben wir noch die Revolver.«
Unser dicker Fred war sofort einverstanden, zurückzubleiben. Er besaß jedenfalls Muth genug, aber wenn es nicht durchaus nöthig war, liebte er es wohl nicht, sein Leben zu exponiren; und ein Wagniß war es doch jedenfalls, hinunter in das Thal zu steigen, um die Ogellallah zu belauschen. Wer von ihnen entdeckt und ergriffen wurde, der war auf jeden Fall verloren.
Wir standen drei oder vier Tage vor dem Neumond. Der Himmel war bewölkt, und kein Stern ließ sich sehen; die Nacht war also für unser Vorhaben sehr günstig. Wir tappten uns aus dem Dickicht heraus bis zu der Stelle hin, an welcher wir am Nachmittage gehalten hatten.
»Winnetou geht rechts, und mein Bruder Schar-lih mag links gehen!« flüsterte der Apache, und im nächsten Augenblicke war er bereits lautlos im Dunkel des Waldes verschwunden.
Ich folgte der Weisung des Freundes und schlich mich an der linken Seite des ziemlich hohen Abhanges hinab.
Eine der schwierigsten, wo nicht die allerschwierigste Aufgabe des Prairiejägers ist das Anschleichen an den Feind. Es gehört nicht nur eine jahrelange Uebung, sondern auch geradezu eine natürliche Begabung dazu, sich auf die vollständig unhörbare Weise eines wilden, reißenden Thieres einem Gegner zu nähern, der alle seine Sinne auf das Aeußerste anstrengt, diese Annäherung zu bemerken. Es ist das fast wie mit dem Schwimmen. Wer schnell schwimmen lernen will, der muß sich muthig der Fluth anvertrauen, welche ihm über dem Kopfe zusammenschlägt; im seichten Wasser wird er niemals ein Schwimmer werden. So lernt sich auch das Anschleichen am schnellsten, wenn man sich in wirklicher Gefahr befindet, denn die Gefahr schärft die Sinne, verzehnfacht die Vorsicht und lehrt selbst den kleinsten Umstand zu Rathe ziehen, den man sonst gar nicht benutzen würde.
Schon die Annäherung an einen einzelnen Feind ist schwer. Man muß jeden Vortheil des Terrains berücksichtigen, jede Deckung benutzen, die Lage jedes Zweiges, jedes Blattes berechnen; da gibt es zu Rathe zu ziehen die Farbe der Erde und der Umgebung, die Richtung des Luftzuges, die Anwesenheit von Vögeln und anderen Thieren, deren Flucht Einen verrathen würde. Da schleicht man, den Leib tief an der Erde, aber doch so, daß er den Boden nicht berührt, nur auf den Spitzen der Zehen und der Finger, was große Körperkraft erfordert und außerordentlich anstrengend ist; da gilt es, die Gestalt eines Baumstumpfes oder Steines anzunehmen und oft eine Geduld zu entfalten, welche den Geist ermüdet und den Körper entkräftet.
Schlimmer noch ist es, eine große Mehrzahl anzuschleichen, da es dann gilt, die Aufmerksamkeit Vieler zu täuschen. Ist es am Tage, so wird man leichter gesehen, aber man
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