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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wohnung gelassen, da der Stutzen hier besser am Platze war.
    Wir hatten uns auf alle vier Seiten der Einfassung gleichmäßig vertheilt, zweihundert und zehn Mann stark, denn dreißig Mann waren nach einem verborgenen Thale detachirt worden, um die dort in Sicherheit gebrachten Pferde zu beschützen.
    Die Zeit schlich, wie von Schnecken getragen. Mancher mochte bereits denken, daß alle unsere Befürchtung vergeblich gewesen sei, da aber horch! Da erklang es, als sei ein Steinchen an eine der Eisenschienen gestoßen worden. Gleich darauf bemerkte ich jenes fast unhörbare Geräusch, welches ein Ungeübter für das Wehen eines ganz, ganz leisen Lüftchens halten würde – sie kamen.
    »Aufgepaßt!« flüsterte ich meinem Nebenmanne zu.
    Dieser gab das Wort leise weiter, so daß es im Verlaufe einer Minute die Runde machte.
    Unendlich flüchtige, geisterhafte Schatten huschten durch die Nacht, nach rechts, nach links, ohne daß dabei der geringste Laut zu hören war. Es bildete sich uns gegenüber eine Fronte, welche sich ausbreitete und nach und nach um das ganze Lager dehnte. Im nächsten Augenblicke mußte es beginnen.
    Die Schatten näherten sich. Sie waren nur noch fünfzehn – zwölf – zehn – acht – sechs Schritte von der Mauer entfernt. Da erscholl eine laute, sonore Stimme durch die Nacht:
    »
Selki Ogellalla! Ntsagé sisi Winnetou natan Apaches! Shne ko
– Tod den Ogellallah! Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen! Gebt Feuer!«
    Er erhob seine silberbeschlagene Büchse, und bei ihrem Blitze leuchtete es rund um den ganzen Camp auf. Es waren an einem einzigen Augenblicke über zweihundert Schüsse gefallen. Nur ich allein hatte nicht geschossen; ich wollte die Wirkung unserer Salve abwarten, welche wie ein Gericht vom Himmel so plötzlich, so tödtlich über die Feinde hereinbrach. Eine ganze, lange Minute herrschte die tiefste Stille, dann aber brach es los, jenes furchtbare Geheul, welches die Nerven zu zerreißen und die Knochen zu zermalmen droht. Das Unerwartete unserer Salve hatte den Wilden geradezu die Sprache geraubt, jetzt aber klang es wie aus den Mäulern von tausend Teufeln durch den Cannon.
    »Nochmals Feuer!« commandirte die Stimme des Obersten, welche man selbst durch dieses diabolische Geheul hindurch vernehmen konnte.
    Eine zweite Salve krachte und dann rief Rudge:
    »Hinaus, und mit den Kolben drauf!«
    Im Nu waren die Männer über die Mauern hinaus. Wer von ihnen vorher ja noch bange gewesen war, der fühlte jetzt den Muth des Löwen in sich. Kein einziger Indsman hatte einen Versuch machen können, die Mauer zu ersteigen.
    Ich blieb auf meinem Posten. Draußen entwickelte sich ein Rachekampf, der nicht lange anhalten konnte, denn die Reihen der Gegner waren so fürchterlich gelichtet, daß sie ihr Heil nur in der Flucht suchen konnten. Ich sah sie vorüberhuschen, die dunklen Gestalten – ah, das war ein Weißer! Wieder Einer! Die Railtroublers hatten auf der andern Seite gestanden und flohen jetzt an mir vorüber.
    Jetzt erst legte ich den Stutzen an. Fünfundzwanzigmal schießen zu können, ohne laden zu müssen, das war mir jetzt vom Vortheile. Acht Schüsse gab ich ab, dann fand ich keine Ziele mehr. Die unverletzten Feinde waren geflohen; die Andern lagen am Boden oder versuchten, sich fortzuschleppen, aber es gelang ihnen nicht, denn sie wurden umstellt, und wer sich nicht ergab, der wurde niedergemacht. Es ergab sich aber – kein Einziger!
    Kurze Zeit später brannten zahlreiche Feuer draußen vor der Mauer, und man konnte die schauerliche Erndte sehen, welche der Tod in so kurzer Zeit gehalten hatte. Ich mochte nichts sehen, gar nichts. Ich wandte mich ab und ging nach der Wohnung des Colonels. Kaum hatte ich mich dort niedergesetzt, so trat auch Winnetou ein. Ich blickte ihm erstaunt entgegen.
    »Mein rother Bruder kommt?« fragte ich. »Wo hat er die Scalpe seiner Feinde, der Sioux-Ogellallah?«
    »Winnetou wird keinen Scalp mehr nehmen,« antwortete er. »Seit er die Musik vom Berge herab gehört hat, tödtet er den Feind, aber er läßt ihm die Haarlocke seines Hauptes. Howgh!«
    »Wie Viele hat der Apache getödtet?«
    »Winnetou zählt nicht wieder die Häupter der Gefallenen. Warum soll er zählen, da sein weißer Bruder Keinen tödtet!«
    »Woher weißt Du das?«
    »Warum schwieg das Gewehr meines Freundes Schar-lih, bis die weißen Mörder an ihm vorüberflohen? Und warum schoß er diese nur in das Bein? Nur diese allein hat Winnetou gezählt. Es sind

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